Söhne und siechende Seelen
teuflischen Trick in der Luft herumwirbelte und zu Boden warf. Es dauerte nur einen Augenschlag, bis er seinen Schirm an der Spitze gepackt und dem Strolch den gebogenen Griff um den Hals gelegt hatte, um ihn eine Runde zu drehen und dann an die Wand des etwas weiter gelegenen Wohnhauses zu schleudern. Durch die Wucht des Aufpralls klirrten die Fensterscheiben im Erdgeschoss. Metin Bilgin wich dem Butterfly-Messer aus, das der Schuft, der sich als Erster wieder aufgerappelt hatte, ihm ins Gesicht warf; er stellte einen Fuß zwischen die Beine des Kerls, stieß ihm mit seinem Schirm, den er inzwischen mit zwei Händen wie einen Stock hielt, gegen den Hals und brachte ihn, als er zu Boden gefallen war, durch einen entschiedenen und unerbittlichen Schirmhieb auf den Kopf endgültig zur Strecke.
Durch den Krach waren die Leute an die Fenster geströmt, und mehrere harte Jungs hatten sich um uns versammelt, die offensichtlich von ganz ähnlich gearteten Motivationen gelenkt waren wie ihre sich am Boden krümmenden Genossen.
Metin Bilgin drehte sich auf dem Absatz herum, schlug seinen Regenmantel zu beiden Seiten auf und stemmte die Hände in die Hüften: »Noch jemand, der ordentlich eins auf die Schnauze will?«
Keiner wollte.
Das öffentliche Gewissen steckte sich eine Maltepe an, betrachtete die Versammlung durch den aus seiner Nase entweichenden Rauch und verkündete das neugierig erwartete Urteil: »Dann verpisst euch.«
Die vor Schmerzen stöhnenden Angreifer rappelten sich auf und verdufteten schleunigst, die harten Jungs zerstreuten sich, die Fenster wurden geschlossen, die Straßenkatzen bezogen wieder ihre Wachposten unter den Autos. Ich denke, dass die Waffe im Gürtel des Staatsanwaltes eine wesentliche Rolle dabei spielte, dass die Reaktion so extrem kurz ausfiel. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die gesellschaftliche Normalität wieder eingekehrt war, wandte er sich an mich und meinte: »Siehst du, es ist gut, einen Schirm bei sich zu tragen.«
Wir drehten uns um und gingen schweigend, bis wir an unserem Viertel angekommen waren. Den ganzen Weg über spielte ich mit dem Film aus Hicabi Beys Kamera in meiner Tasche. Es fiel mir schwer, es zuzugeben, doch mit seiner Vorführung hatte der Herr Staatsanwalt sich ein Quäntchen mehr Respekt bei mir eingehandelt. Bevor wir uns trennten, reichte er mir seine Visitenkarte, die sowohl seine Büro- als auch die private und seine Handynummer enthielt. »Viel Zeit hast du nicht. Spätestens nächste Woche werde ich Anklage erheben.«
Ich nahm die Karte und setzte meinen Weg fort. Er hätte meinen Vater nicht ins Spiel bringen dürfen.
Meine Freunde fand ich in fieberhafter Geschäftigkeit vor. Der Hänfling, Cemalettin, Burhan, Hakan, Yüksel und alle Strolche zwischen fünf und zehn Jahren hatten sich um einen Kessel versammelt, in dem Teer brodelnd kochte, und bearbeiteten die Kronkorken von Sprudelflaschen mit großen Steinen oder spitzten Äste und Holzstücke mit verschiedenen Werkzeugen. Ich wusste genau, was es mit dieser Aktivität auf sich hatte. »Frohes Schaffen«, sagte ich zu Hakan, der einen schiefen und krummen Kronkorken an einem dreißig Zentimeter langen Götterbaumast zu befestigen versuchte. »Was gibt’s?«
»Ich bastle einen Pfeil«, verkündete Hakan stolz.
»Ach nee, und ich dachte, du machst für Cemalettin einen Hinternkratzer.« Alle lachten, außer Cemalettin. Normalerweise hätte er diesen Spruch niemals unkommentiert stehen lassen, doch still fuhr er fort, den Teer mit einem langen Holzstock umzurühren.
»Wir haben der Walderdbeeren-Straße den Krieg erklärt«, brüstete sich Yüksel.
»Wieso? Haben sie Cemalettin belästigt?« Diesmal lachte niemand, nur von ein, zweien war ein leichtes Gebrummel zu hören. Sie hatten verstanden, dass ich auf Streit aus war. Ich ging zu dem unbeteiligt wirkenden Cemalettin und trat ihm gegen die Ferse. »Red schon, Mann. Oder hast du deine Zunge verschluckt?«
Cemalettin zog den teergetränkten Stock aus dem Kessel und machte ein paar Schritte zurück. »Lass mich verdammt noch mal in Ruhe! Sonst wird es nachher noch übel …«
»Was ist los, Mann?«, ging ich auf ihn zu. »Oder willst du mich bei deinem großen Bruder anschwärzen?«
»Wen hab ich denn jemals bei meinem Bruder angeschwärzt, he?«, sagte er und trat noch zwei Schritte zurück. Er bemühte sich, kein bedrohliches Gebaren an den Tag zu legen, doch seine Körpersprache bewies eindeutig, dass er vor der
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