Söhne und siechende Seelen
Anwendung des Gegenstands in seiner Hand nicht zurückschrecken würde.
»Spiel nicht den Dummen, Cemalettin, sonst knall ich dir eine. Wusstest du etwa nicht, dass dein beknackter Bruder hinter mir her ist? Warum hast du nicht den Mund aufgemacht und mir was gesagt?«
Abrupt stellte er sich kerzengerade hin, womit er andeutete, keinen weiteren Rückzug anzutreten. »Du kennst doch meinen Bruder, Mann! Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du ihn bei der Polizei verpfiffen hast!«
Mit aller Kraft trat ich gegen den Stock, er flog ihm aus der Hand und landete in der Gegend. Beinahe brach ich mir dabei den Fuß, aber um mein Heldentum nicht zu beflecken, gab ich keinen Piep von mir. Um sie glauben zu machen, die Tränen in meinen Augen rührten von meiner Wut her, drehte ich noch ein wenig mehr auf. »Und was war, als ich am Samstag in eurem Garten mit den Hunden im Ringkampf lag? Bei euch ist doch immer jemand zu Hause, und nie ist die Tür geschlossen.«
»Mann, am Samstag waren wir bei meiner Oma!«, schrie Cemalettin und heulte dabei wie ein Schlosshund.
Ich packte die Hausmeisterbrut am Kragen und presste ihn an die Wand. »Soll ich dir hier jetzt den Arsch aufreißen?« Sinnlose Wut hatte aus heiterem Himmel Besitz von mir ergriffen, ich war vollkommen außer mir. Abmurksen wollte ich den Hurensohn. Eigentlich sagte er vielleicht die Wahrheit. Das war sogar höchst wahrscheinlich. Aber mir war das völlig schnuppe. Der wahre Grund, warum ich mich mit ihm anlegte, hatte ja nichts mit dem zu tun, was ich da als Motiv angeführt hatte. Genau genommen hatte ich, bis ich Cemalettin sah, einen solchen Rachefeldzug gar nicht im Sinn. Doch nun wollte ich mich an ihm rächen für das, was mir widerfahren war. Doch nicht nur mir, sondern meinem Vater, dem verrückten Ertan und den Japanern. Ein wenig wollte ich wohl auch Metin Bilgin nacheifern. Einschüchtern wollte ich sie alle mit einem markerschütternden Schrei: »Noch jemand, der ordentlich eins auf die Schnauze will?« Meine Kraft reichte natürlich nur für Cemalettin. Was für ein Dreckskerl ich doch war.
»Immer mit der Ruhe«, trat Burhan dazwischen. »Wir müssen jetzt zusammenhalten. Gegen die Walderdbeeren-Straße. Eure Angelegenheit könnt ihr später erledigen.»
Voller Reue und Scham ließ ich von Cemalettin ab. Schniefend rannte er nach Hause. Ich fühlte mich miserabel und musste mich unbedingt austoben. Krieg! War es das, was ich brauchte? »Warum haben wir der Walderdbeeren-Straße den Krieg erklärt?«, fragte ich und hob einen langen, dünnen Stecken vom Boden auf. »Ich meine, eigentlich ist es ja egal, ich frage nur so aus Neugier.«
»Sie waren total fies zu Burhan«, piepste der Hänfling. Dann druckste er herum, als wollte er etwas sagen und wüsste nur nicht, wie. Auf diese Weise gelang es ihm, in den Köpfen derer, die nicht Bescheid wussten, die Idee aufkommen zu lassen, dass es sich dabei um einen Fall von Vergewaltigung handeln könnte – und das, ohne Burhan einen Trumpf in die Hand zu geben, den Hänfling deshalb ordentlich zu verprügeln.
»Ich war in die Walderdbeeren-Straße gegangen«, fuhr Burhan eiligst dazwischen, damit der Film nicht allzu lange in unseren Köpfen weiterliefe, »zur Erkundung.«
Das befremdete mich nicht, denn ich wusste, dass Burhan zu der Spezies Durchgeknallter gehörte, die sich für Generäle hielten. »Und dann?«
Burhans Augen waren hasserfüllt. »Die Kinder aus dem Viertel entdeckten und umzingelten mich. Ihr Anführer war dieser Bastard namens Sefa.«
»Wie viele waren es?«
»Ungefähr eine Kompanie.«
»Wie viele also?«
»Einhundert!«, schrie einer meiner schwachsinnigen Altersgenossen, der Burhan anhimmelte.
»Nee, so viele waren es nicht«, sagte Burhan. »Zehn, fünfzehn vielleicht. Egal, jedenfalls versuchte dieser miese Sefa mich einzuschüchtern, ›das hier ist unser Bezirk, mach dich vom Acker‹, mit solchen Sprüchen halt …«
Nebenbei vollführte der Hänfling außerhalb von Burhans Sichtfeld zweideutige Grimassen und Gesten, bei denen jeder auf die Idee kommen musste, dass die Geschichte in einer Katastrophe enden würde. »›Hör auf, dich mit den anderen im Rücken aufzuspielen. Wenn du ein Mann bist, dann lass uns das einer gegen einen ausfechten. Wenn du gewinnst, dann verschwinde ich und komme nie wieder hierher, aber wenn ich gewinne, dann unterstehen deine Männer und du ab sofort mir‹, sagte ich. Der arme Depp nahm an, weil er vor seinen Soldaten nicht
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