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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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zurückwich?
    »Hier einfach so lässig hereinzuspazieren ist keine allzu vernünftige Idee.«
    Der Staatsanwalt drehte sich zu mir und fuchtelte mit der Schirmspitze vor meiner Nase herum. »Du musst dich deinen Ängsten stellen, Junge. Nur dann wirst du deinen Seelenfrieden finden.«
    Wir hatten es also mit einem buddhistischen Staatsanwalt zu tun, der Ärger suchte. Hilflos würden wir weitermarschieren. Zum einen musste ich mich gegen Metin Bilgin schützen, zum anderen musste ich wachsam sein vor Gefahren, die in der Umgebung lauerten. Ich war froh, dass ich meine Turnschuhe angezogen hatte. »Was kann ich für Sie tun?«
    Seinen Grimassen war zu entnehmen, dass er meine Nummer des eifrig mit dem Gesetz kooperierenden Staatsbürgers sofort durchschaut hatte. Man durfte diesen Bekloppten nicht auf die leichte Schulter nehmen. »Was treibst du hier eigentlich?«
    Obwohl ich bei solchen Fragen stets genau wusste, dass mein Gegenüber auf ganz andere Dinge abzielte, kam unweigerlich die Sorge in mir auf, er könnte meine Masturbationsgewohnheiten meinen. »In welchem Bereich?«
    Metin Bilgin nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und schnippte die Kippe in einen der Gullis. »Weißt, ich glaube allmählich auch, dass der verrückte Ertan nicht der Mörder ist.« Ich war schon schlau genug, um zu wissen, dass Leute wie Metin Bilgin nicht hinter jemandem herrannten, um ihm eine frohe Nachricht zu übermitteln. Ich war gespannt, was dahinter stecken würde. »Bezüglich der Tat gibt es noch jede Menge ungeklärte Fragen«, fuhr der Staatsanwalt fort. »Nehmen wir an, dass das Opfer zufällig von einem kleinen Jungen aufgefunden wurde. Werten wir es auch als normal, dass dieser Junge, der über eine etwas zu ausgeprägte Fantasie verfügt, einen geheimnisvollen Tatverdächtigen erwähnt. Aber wie erklärt man sich, dass einem bei jedem Stein, den man umdreht, derselbe Junge wieder und wieder begegnet? Dass er allein zur Beerdigung kommt, die Polizisten manipuliert, mit den Verdächtigen Kontakt aufnimmt und den Versuch unternimmt, heimlich den Tatort zu betreten?«
    »Der Junge wird doch nicht etwa der Mörder sein?«
    »Auf den ersten Blick sieht es so aus, aber es müsste ein Mordmotiv geben.«
    »Dazu fiele mir Folgendes ein: Vielleicht hat das Opfer den Fernseher zu laut aufgedreht und den Jungen dadurch in den Wahnsinn getrieben. Der Selige war ja bekanntlich ein wenig schwerhörig. Und? Passen die Steine jetzt zusammen?«
    »Eigentlich nicht. Die Tat wurde nämlich entschlossen, kraftvoll und mit einem einzigen Schnitt ausgeführt. Das schafft ein Kind niemals.«
    »Ich sage, Sie sollten Kinder nicht unterschätzen.«
    Metin Bilgin steckte sich eine weitere seiner heißgeliebten Maltepe an. »Ich stelle mir folgendes Szenario vor: Hicabi Bey war einst ein wichtiges Mitglied der Sicherheitsbehörden, da ist es normal, dass er viel gefährlichere Feinde hat als einen Verrückten.«
    »Ich sage, Sie sollten auch Verrückte nicht unterschätzen.«
    »Spinnen wir unseren Gedanken ein wenig weiter: Lassen wir den Jungen, der sich in Dinge einmischt, die eine Nummer zu groß für ihn sind, einen Vater haben, der irgendwie Dreck am Stecken hat …« Ich war wie vom Donner gerührt. Der verdammte Scheißkerl wollte meinen Vater benutzen, um mir Angst zu machen. »Ein Mann, der in seiner Jugend jede Menge Dummheiten gemacht hat, von seinem Vorgesetzten nachgewiesen bekam, dass er am Arbeitsplatz kommunistische Propaganda betrieb, und deswegen bei den zuständigen Stellen gemeldet wurde. Für einen wie ihn prima Motive, um den Polizeidirektor zu töten. Mord ist natürlich keine leichte Sache, da ist man völlig am Arsch. Deshalb wählt unser Mann eine Methode, auf die schon zahlreiche Leute, die sich für schlau halten, tausendmal zurückgegriffen haben: Sie benutzen Personen, die nicht schuldfähig sind! Beispielsweise einen Geisteskranken, der stark genug ist, die Sache im Handumdrehen zu erledigen, und ein Kind, das über die Intelligenz verfügt, um den armen Kerl zu lenken – sprich: sein eigenes Kind. Und? Diese Geschichte klingt einleuchtender, nicht wahr?«
    Nicht seine widerlichen Anschuldigungen waren es, die mich auf die Palme brachten, sondern dass er sich das Recht herausnahm, mich und meinen Vater derart unbekümmert zu beleidigen. Ich musste mich schwer zusammenreißen, um ihm nicht unter wilden Beschimpfungen ins Gesicht zu spucken. Trotz all ihrer Haltlosigkeit waren seine logischen Schlüsse dennoch

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