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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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einknicken wollte. Ich merkte natürlich, dass ihm der Arsch auf Grundeis ging. Ich dachte mir schon, dass er eine Sauerei vorhat, aber …«
    »Und was für eine Sauerei! Das wünscht man nicht mal seinem größten Feind«, fuhr der Hänfling dazwischen, um Burhan vollends in Rage zu bringen.
    »Halt die Schnauze, Mann, ich erzähle ja!«, brauste Burhan auf. »Letzten Endes einigten wir uns auf einen Wettkampf mit drei Disziplinen. Ringkampf, Armdrücken und Verstecken!«
    »Verstecken?«
    »Verstecken. Erst kam’s mir auch komisch vor, aber der Schuft hat mich davon überzeugt, dass es dabei um taktische Intelligenz geht. In zwei Minuten hatte ich den Bastard am Boden, und beim Armdrücken hielt er keine drei Sekunden durch. Und dann kam …«, schluckte Burhan.
    Der Hänfling ließ sich diese Gelegenheit nicht nehmen: »… das Verstecken.«
    »Hätte ich mich bloß nicht darauf eingelassen, ich hatte ja schließlich zwei von drei Spielen gewonnen«, jammerte Burhan zu sich selbst.
    »Schwamm drüber. Erzähl schon – was war?«, fragte ich. Ich platzte schier vor Neugier.
    »Der Reihe nach sollten wir drankommen, zuerst ich, dann Sefa. Wer zuerst alle gefangen hatte, hätte gewonnen. Ich hielt mir die Augen zu und fing an zu zählen. Ich war ungefähr bei zwanzig, als ich plötzlich … etwas Warmes spürte. An den Hosenbeinen. Ich sah nicht nach, um die Spielregeln einzuhalten, aber ich wunderte mich. Als ich dann bei etwa siebzig angekommen war, merkte ich, dass meine Hosenbeine von den Knien ab klatschnass waren. Ich drehte mich um, und was sah ich?« Celal der Hänfling hatte die linke Hand am Gelenk angewinkelt und klappte sie fröhlich auf und ab. »Die Hurensöhne hatten mir alle ans Bein gepinkelt!«
    Ich bemühte mich, dem in mir aufkommenden Lacher den Anschein eines Schluckaufs zu geben, und gluckste: »Diese Mistkerle!«
    »Das lassen wir nicht auf uns sitzen«, sagte der erniedrigte Kommandant der Befreiungsarmee Ömer-Cemal-Bey-Straße. Er reckte den Ast in seiner Hand in die Luft und wandte sich an seine Waffenbrüder: »Niemals!«
    »Niemals!«, quiekte der Hänfling und erhöhte dabei seine ohnehin piepsige Stimme um weitere drei Oktaven. Leider war er diesmal der einzige Schreier und konnte also sein kindisches Getue vor Burhan nicht verbergen.
    »Hiermit entziehe ich dir deinen Dienstgrad, Mann«, sagte Burhan. »Ab sofort bist du kein Gefreiter mehr, sondern einfacher Soldat!«
    Ich kann nicht beschreiben, wie gekränkt der Hänfling war. Kreischend begann er sich gegen diese Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen. Während die Debatte um seinen Rang in vollem Gange war, ließ ich sie allein und begab ich mich zu Yüksel, der mit einem Ast für sich allein das Fechten trainierte. »Ich muss etwas mit dir besprechen.«
    »Worum dreht sich’s denn?«
    »So zwischen Tür und Angel geht das aber nicht. Komm, setzen wir uns hin.«
    Wir ließen uns in der Nähe auf den Eingangsstufen eines Wohnhauses nieder. Gerade wollte ich anfangen zu reden, da bemerkte ich Hakan, der sich ein paar Meter vor uns aufgebaut hatte. »Es geht um etwas Privates, Hakan«, sagte ich, bemüht, nicht allzu unfreundlich zu werden.
    »Ist mir doch egal, was ihr da quatscht, Mann«, gab er missgelaunt zur Antwort. »Ich wollte nur fragen, ob mein Brief angekommen ist.«
    »Nee, noch nicht.«
    »Nur wegen diesem blöden Briefumschlag«, brummelte er. Nachdem er noch eine Weile dagestanden und uns mit Hundeblick angeglotzt hatte, sah er ein, dass wir ihn nicht miteinbeziehen würden, und zog mit langem Gesicht von dannen. Auf diese Weise verlor ich auch noch den letzten mich liebenden Menschen auf dem Globus.
    »Erst nimmt er sich Frechheiten heraus, und dann ist er auch noch eingeschnappt, der Streber«, sagte Yüksel.
    »Zuerst musst du schwören«, überging ich seine Meinung zum Thema Hakan geflissentlich, »dass du es niemandem erzählst.«
    »In welcher Angelegenheit?« Seine Augen leuchteten. Wir Kinder sind doch zu scharf auf Geheimnisse.
    »Um das zu erfahren, musst du zuerst schwören.«
    »Okay, ich schwöre.«
    »Hör mal, wenn du den Schwur brichst, dann kriegst du Ärger mit Gott und mit mir, damit du Bescheid weißt.«
    »Ich hab doch okay gesagt …«
    »Du bist doch im Sommer immer mit deinem Vater in sein Fotostudio gegangen.«
    »Ja, und?«
    »Da hast du doch bestimmt gelernt, wie man Filme entwickelt, oder?«
    »Na klar, Mann«, antwortete Yüksel mit missbilligender Miene. »Wieso fragst du?«
    »Ich

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