Söhne und Töchter des Feuers, Band Eins: Verbrannte Hoffnung (German Edition)
zu finden, schläft er nun mit einem zaghaften, entspannten Lächeln wieder ein.
Seit einigen Minuten sitzt Lithan Nachtwald nun vor dem Stapel aus Büchern aus Yuthian Silberbergs privater Sammlung. Wie es ihm der Ordensvater auftrug, sitzt Lithan an diesem Vormittag wieder in der Bibliothek, um seine Studien über die göttliche Rolle der Einhörner, deren Kultur und der Religion der Hurth zu studieren. Misseneintopf mit Hasenfleisch gab es heute früh. Ein ungewöhnliches Frühstück. Offenbar ist vom letzten Abendmahl noch sehr viel übrig geblieben. Und niemand im Kloster hat sich beklagt. Alle waren dankbar für die Abwechslung. Müsste Lithan nicht unentwegt an das Schicksal seiner Freunde denken, die in ihrem finsteren Verlies mit Wasser und Brot abgespeist werden, hätte auch er einen Nachschlag verlangt. Inzwischen ist Lithan froh, nur einen Teller gegessen zu haben. Die Missen, ein körniges, wild in den Wäldern wachsendes Getreide, fangen an zu quellen und Lithan bemerkt das unangenehme Völlegefühl, während er lustlos auf die angestaubten Bücher schaut. Sein Traum, der sich, wie Lithan vermutet, auf so eindringliche Art mit einer Vision der Einhörner vermischt hat, ist inzwischen einige Tage her. Und wie jeder Traum ist auch dieser im Laufe der Zeit in seiner Wucht verblasst. Nur an wenige Sätze kann er sich noch erinnern.
Der Dämon im Norden. In seinem Land aus Eis schürt er das Feuer, wie jeder weiß. Und er soll, wenn er das unheimliche Flüstern richtig gedeutet hat, die Einhörner in den eisigen Norden Vylithiens führen. Dazu fühlt er sich bereit. Doch er möchte nicht unvorbereitet sein, wenn er das Risiko eingeht, mit den Traditionen seiner Familie zu brechen und das Kloster verlässt. Irgendwo in diesen langweiligen Wälzern muss doch etwas über die Verbindung der Einhörner mit dem Dämon im Norden zu finden sein. Lithan versucht sich zu motivieren, das erste Buch in die Hand zu nehmen.
Von Wahrheiten und Lügen der Elemente – das umfangreichste Werk des neuen Bücherturms, von dem sich Lithan den größten Erfolg verspricht. Nach einem tiefen Seufzer kann sich Lithan zum Aufstehen aufraffen. Er beginnt die zahlreichen kleineren Werke von dem Turm herunterzunehmen, um an den Wälzer heranzukommen und den Stapel dabei nicht umzuwerfen. Die Zeit hat an den ledernen Umschlägen ihre Spuren hinterlassen. Sie sind porös und das Papier der Seiten vergilbt und löchrig.
Lithan spürt, wie sich die schmächtigen Muskeln seiner Arme und seiner Brust anspannen, als er das umfangreiche, schwere Werk herunternimmt und vor sich auf den Tisch legt. Noch bevor er die erste Seite aufgeschlagen hat, glaubt Lithan zu wissen, was ihn erwartet. Er kennt die kulturell gefestigte Meinung der Hurth über die Rolle der Herrscher der Elemente in den anderen Menschenkulturen Vylithiens. Auch wenn die Religion durch das ständige Aufflammen vergangener Feuerkriege und die damit verbundene Industrialisierung der Länder immer weiter in den Hintergrund rückte, ist sie aus den Köpfen der Menschen nicht verschwunden. Noch immer betet man in Eiserlingen, Hurth und Sagettar zu den Herrschern der Elemente , die einst die Welt und alles, was auf ihr lebt und existiert, geschaffen haben sollen. Doch kein Volk lebt den Glauben an eine höhere, göttliche Macht derart leidenschaftlich und bestimmend aus wie die Hurth.
Bei den Karden und den Xathirr ist sich Lithan nicht sicher. Beide Völker sind vor vielen tausend Jahren der Kultur der Hurth entsprungen. Und obwohl sie die gleichen Wurzeln haben, werden sich beide Gesellschaften im Laufe der Jahrtausende zweifelsohne verändert haben. Lithan öffnet den schweren, massiven Deckel und blättert sich zur Inhaltsangabe vor. Überrascht muss er feststellen, dass einige Passagen durch Farbe unkenntlich gemacht wurden. In Lithan erwacht die Neugier. Gespannt blättert er sich zu den Seiten vor, die in der Übersicht geschwärzt wurden. Herausgerissen. Enttäuscht muss er feststellen, dass etwa sechs Seiten in diesem Teil des Buches fehlen. Sie wurden von Hand entfernt, wie Lithan an den unsauberen Restfetzen, die die Existenz der herausgerissenen Seiten erahnen lassen, erkennt. Diese Entdeckung wiederholt sich noch einige Male, als Lithan immer wieder zum Inhalt zurückkehrt und sich weitere, offenbar zensierte Kapitel des Buches anschauen möchte. Auch einzelne Zeilen und Wörter auf Seiten, die noch im Buch vorhanden sind, wurden unkenntlich gemacht und
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