Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Erbärmlichkeit liefern.«
»Hat William Shakespeare im Barock gelebt?«
»Er hat seine großen Schauspiele um das Jahr 1600 geschrieben. Dadurch steht er mit einem Fuß in der Renaissance und mit dem anderen im Barock. Aber schon bei Shakespeare häufen sich die Zitate, nach denen das Leben ein Theater ist. Möchtest du ein paar Beispiele hören?«
»Gerne.«
»Im Stück ›Wie es euch gefällt‹ sagt er:
Die ganze Welt ist Bühne und alle Fraun und Männer bloße Spieler. Sie treten auf und gehen wieder ab, sein Leben lang spielt einer manche Rollen durch sieben Akte hin.
Und im ›Macbeth‹ heißt es:
Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild;
Ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht
Sein Stündchen auf der Bühn’ und dann nicht mehr
Vernommen wird; ein Märchen ist’s, erzählt
Von einem Dummkopf voller Klang und Wut,
Das nichts bedeutet.«
»Das ist aber pessimistisch.«
»Aber es hat ihn beschäftigt, dass das Leben kurz ist. Du hast vielleicht schon das allerbekannteste Shakespeare-Zitat gehört?«
»Sein oder Nichtsein – das ist hier die Frage.«
»Ja, das hat Hamlet gesagt. An einem Tag wandeln wir auf Erden – am nächsten sind wir verschwunden.«
»Danke, das habe ich inzwischen auch kapiert.«
»Wenn sie das Leben nicht mit einem Theater verglichen, dann verglichen die Dichter des Barock es mit einem Traum. Schon Shakespeare sagte zum Beispiel: ›Wir sind vom gleichen Stoff, aus dem die Träume sind, und dies kleine Leben umfasst ein Schlaf ...‹«
»Wie poetisch.«
»Der spanische Dichter Calderón , der um 1600 geboren wurde, schrieb ein Schauspiel mit dem Titel ›Das Leben ein Traum‹. Darin sagt er: ›Was ist Leben? Raserei! Was ist Leben? Hohler Schaum! Ein Gedicht, ein Schatten kaum! Wenig kann das Glück nur geben: Denn ein Traum ist alles Leben und die Träume selbst ein Traum ...‹«
»Vielleicht hat er Recht. Wir haben in der Schule ein Stück gelesen. Es hieß ›Jeppe vom Berge‹.«
»Von Ludvig Holberg , ja. Hier im Norden eine gewaltige Übergangsfigur zwischen Barock und Aufklärung.«
»Jeppe schläft in einem Chausseegraben ein ... und dann erwacht er im Bett des Barons. Und glaubt, geträumt zu haben, dass er nur ein armer Bauerntölpel gewesen sei. Dann wird er schlafend wieder in den Chausseegraben getragen – und wacht aufs Neue auf. Und nun glaubt er, nur geträumt zu haben, dass er im Bett des Barons gelegen habe.«
»Dieses Motiv hatte Holberg bei Calderón entlehnt, und Calderón hatte es aus den arabischen Märchen der ›1001 Nacht‹. Aber der Vergleich von Leben und Traum ist ein Motiv, das wir noch viel weiter zurückverfolgen können – nicht zuletzt nach Indien oder China. Schon der alte chinesische Weise Dschuang Dsi (um 350 v. Chr.) träumte einmal, er sei ein Schmetterling, und fragte sich nach dem Erwachen, ob er nun ein Mensch sei, der geträumt habe, ein Schmetterling zu sein, oder ein Schmetterling, der jetzt träume, er sei ein Mensch.«
»Auf jeden Fall lässt sich unmöglich beweisen, was nun stimmt.«
»In Norwegen hatten wir einen waschechten Barockdichter namens Petter Dass . Er lebte von 1647 bis 1707. Einerseits wollte er das Leben hier und jetzt schildern, andererseits betonte er, dass allein Gott ewig und konstant ist.«
»Gott ist Gott, und läge alles öde, Gott ist Gott, und seien alle tot ...«
»Aber im selben Choral schildert er auch die nordnorwegische Kultur – er schreibt über Steinbeißer und Seelachs, Dorsch und Kabeljau. Das ist typisch für das Barock. In ein und demselben Text wird Irdisches, Diesseitiges geschildert – und Himmlisches, Jenseitiges. Das Ganze kann uns an Platons Trennung zwischen der konkreten Sinnenwelt und der unveränderlichen Welt der Ideen erinnern.«
»Was ist mit der Philosophie?«
»Auch die war von harten Kämpfen zwischen widersprüchlichen Denkweisen geprägt. Wie wir schon hörten, hielten manche Philosophen das Dasein für im Grunde seelischer oder geistiger Natur. Einen solchen Standpunkt nennen wir Idealismus . Der entgegengesetzte Standpunkt heißt Materialismus . Damit ist eine Philosophie gemeint, die alle Phänomene des Daseins auf konkrete stoffliche Größen zurückführen will. Auch der Materialismus hatte im 17. Jahrhundert viele Fürsprecher. Der einflussreichste war vielleicht der englische Philosoph Thomas Hobbes . Alle Phänomene – also auch Menschen und Tiere – bestünden ausschließlich aus Stoffpartikeln, meinte er. Sogar das
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