Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
nicht alles, was mit unserem Körper passiert, selber – denn unser Körper ist ein Modus des Attributes Ausdehnung. Und wir ›wählen‹ auch unsere Gedanken nicht ›aus‹. Der Mensch hat also keine freie Seele, die in einem mechanischen Körper gefangen sitzt.«
»Gerade das ist ein bisschen schwer zu begreifen.«
»Spinoza meinte, dass die menschlichen Leidenschaften – zum Beispiel Ehrgeiz und Begehren – uns daran hindern, wahres Glück und Harmonie zu erlangen. Aber wenn wir erkennen, dass alles aus Notwendigkeit geschieht, dann können wir ein intuitives Erkennen der Natur als Ganzheit erlangen. Wir können zu einem kristallklaren Erleben der Tatsache gebracht werden, dass alles zusammenhängt, ja, dass alles eins ist. Unser Ziel ist, alles, was existiert, in einem gesammelten Überblick zu erfassen. Spinoza bezeichnete das als: alles sub specie aeternitatis sehen.«
»Und das bedeutet?«
»Alles unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit zu sehen. Haben wir damit nicht angefangen?«
»Damit müssen wir auch aufhören. Ich muss jetzt unbedingt nach Hause.«
Alberto erhob sich und holte eine große Obstschüssel aus dem Bücherregal. Er stellte die Schüssel auf den Tisch.
»Möchtest du nicht eine Kleinigkeit essen, ehe du gehst?«
Sofie nahm sich eine Banane. Alberto entschied sich für einen grünen Apfel.
Sie brach die Spitze der Banane ab und fing an, die Schale abzureißen.
»Hier steht etwas«, sagte sie plötzlich.
»Wo?«
»Hier, innen in der Bananenschale. Sieht aus wie schwarzer Filzstift.«
Sofie beugte sich zu Alberto hinüber und zeigte ihm die Banane. Er las laut vor:
»Hier bin ich wieder, Hilde. Ich bin überall, mein Kind. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«
»Sehr komisch«, sagte Sofie.
»Der wird immer raffinierter.«
»Aber das ist doch ... ganz unmöglich. Weißt du, ob im Libanon Bananen angebaut werden?«
Alberto schüttelte den Kopf.
»Essen will ich sie jedenfalls nicht.«
»Dann lass sie liegen. Jemand, der auf die Innenseite einer ungeschälten Banane Geburtstagsgrüße an seine Tochter schreibt, ist natürlich geistig verwirrt. Aber gleichzeitig muss er auch ganz schön schlau sein.«
»Beides stimmt, ja.«
»Wir können also hier und jetzt erklären, dass Hilde einen schlauen Vater hat? Er ist wirklich alles andere als dumm.«
»Das habe ich doch gesagt. Und genauso gut kann er dich beim letzten Mal dazu gebracht haben, mich plötzlich Hilde zu nennen. Es ist gut möglich, dass er uns alle Worte in den Mund legt.«
»Nichts kann ausgeschlossen werden. Aber alles muss auch bezweifelt werden.«
»Denn das ganze Dasein kann genauso gut ein Traum sein.«
»Aber wir wollen nichts übereilen. Schließlich kann es für alles auch eine einfachere Erklärung geben.«
»Jedenfalls muss ich jetzt unbedingt nach Hause. Meine Mutter wartet.«
Alberto brachte Sofie zur Tür. Als sie ging, sagte er:
»Bis zum nächsten Mal, liebe Hilde!«
Im nächsten Moment schloss sich hinter ihr die Tür.
Locke
... genauso leer wie eine Tafel, ehe der Lehrer das Klassenzimmer betritt ...
Sofie war um halb neun zu Hause. Anderthalb Stunden später als verabredet – das heißt, verabredet hatten sie eigentlich gar nichts. Sofie hatte einfach das Essen übersprungen und ihrer Mutter auf einem Zettel mitgeteilt, sie werde spätestens um sieben wieder zurück sein.
»So geht das nicht mehr weiter, Sofie. Ich musste die Auskunft anrufen und fragen, ob sie in der Altstadt einen Alberto haben. Die haben mich bloß ausgelacht.«
»Es war nicht so leicht, da wieder wegzukommen. Ich glaube, wir stehen kurz vor der Lösung eines großen Mysteriums.«
»Unfug.«
»Nein, das ist wirklich wahr.«
»Hast du ihn zum Gartenfest eingeladen?«
»Ach nein, das habe ich vergessen.«
»Aber jetzt will ich ihn unbedingt kennen lernen. Und zwar noch morgen. Es ist nicht gut für ein junges Mädchen, sich so oft mit einem älteren Mann zu treffen.«
»Vor Alberto brauchst du jedenfalls keine Angst zu haben. Hildes Vater ist da vielleicht schon gefährlicher.«
»Was für eine Hilde?«
»Die Tochter von dem, der im Libanon ist. Der scheint ein arger Schurke zu sein. Vielleicht kontrolliert er irgendwie die ganze Welt ...«
»Wenn du mich nicht sofort mit diesem Alberto bekannt machst, dann darfst du dich nicht mehr mit ihm treffen. Ich habe keine Ruhe, solange ich nicht wenigstens weiß, wie er aussieht.«
Sofie kam eine Idee. Sie rannte auf ihr Zimmer.
»Was ist denn in dich
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