Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
gefahren?«, rief die Mutter hinter ihr her.
Kurz darauf stand Sofie wieder im Wohnzimmer.
»Du kannst sofort sehen, wie er aussieht. Aber ich hoffe, dann lässt du mich auch in Ruhe.«
Sie winkte mit einer Videokassette und ging zum Videogerät.
»Hat er dir ein Video geschenkt?«
»Aus Athen ...«
Bald flimmerten Albertos Bilder über den Bildschirm. Die Mutter saß stumm vor Verwunderung da, als Alberto vortrat und Sofie direkt ansprach.
Und dann sah Sofie etwas, was sie schon beim ersten Mal bemerkt, aber wieder vergessen hatte: Mitten in einer der Reisegruppen auf der Akropolis wurde ein kleines Plakat hochgehalten – und auf dem Plakat stand »HILDE«...
Alberto wanderte weiter über die Akropolis. Bald sah man ihn auf dem Areopag, von dem aus der Apostel Paulus zu den Athenern gesprochen hatte. Und vom alten Marktplatz aus wandte sich Alberto an Sofie.
Ihre Mutter saß da und kommentierte das Video in halben Sätzen: »Unglaublich ... das ist Alberto? Da ist wieder dieses Kaninchen ... aber ... ja, er redet wirklich mit dir, Sofie. Ich wusste gar nicht, dass Paulus in Athen gewesen ist ...«
Das Video näherte sich dem Punkt, an dem das alte Athen sich plötzlich aus den Ruinen erhoben hatte. In letzter Sekunde stoppte Sofie noch rasch die Kassette. Jetzt hatte sie ihrer Mutter Alberto gezeigt, da musste sie ihr nicht auch noch Platon vorstellen. Im Zimmer wurde es ganz still.
»Findest du nicht, dass er ganz schön flott aussieht?«, neckte Sofie.
»Aber er muss ein seltsamer Mensch sein, wenn er sich in Athen filmen lässt, nur um einem Mädchen, das er kaum kennt, das Video zu schicken. Wann war er denn überhaupt dort?«
»Keine Ahnung.«
»Aber da ist noch etwas ...«
»Ja?«
»Er hat Ähnlichkeit mit dem Major, der einige Jahre in der kleinen Hütte im Wald gewohnt hat.«
»Vielleicht ist er das ja, Mama.«
»Aber seit über zwanzig Jahren hat ihn niemand zu sehen gekriegt.«
»Vielleicht ist er viel umgezogen. Nach Athen zum Beispiel.«
Die Mutter schüttelte den Kopf.
»Als ich ihn irgendwann in den siebziger Jahren gesehen habe, sah er um keinen Tag älter aus als dieser Alberto heute auf dem Video. Er hatte einen ausländischen Nachnamen ...«
»Knox?«
»Ja, vielleicht, Sofie. Vielleicht hieß er Knox.«
»Oder vielleicht Knag?«
»Nein, also ehrlich, ich weiß es nicht mehr ... Von welchem Knox oder Knag redest du hier eigentlich?«
»Der eine ist Alberto, der andere Hildes Vater.«
»Ich werde noch ganz wirr im Kopf.«
»Gibt’s noch was zu essen?«
»Du kannst dir die Frikadellen warm machen.«
Danach vergingen genau zwei Wochen, ohne dass Sofie etwas von Alberto hörte. Sie bekam noch eine Geburtstagskarte für Hilde, aber obwohl der Tag näher rückte, kam kein einziger Glückwunsch für sie selber.
Eines Nachmittags fuhr Sofie in die Altstadt und klopfte an Albertos Tür. Er war nicht zu Hause, aber an der Tür hing ein kleiner Zettel. Auf dem Zettel stand:
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Hilde! Jetzt steht der große Wendepunkt vor der Tür. Der Augenblick der Wahrheit, mein Kind. Fast jedes Mal, wenn ich daran denke, mache ich mir vor Lachen fast in die Hose. Das hat natürlich etwas mit Berkeley zu tun, halt dich fest!
Sofie riss den Zettel ab und steckte ihn in Albertos Briefkasten, als sie aus dem Haus ging.
Verflixt! Er war doch wohl nicht wieder nach Athen gefahren? Wie konnte er Sofie mit all den unbeantworteten Fragen allein lassen?
Als sie am Donnerstag, dem 14. Juni, aus der Schule kam, lungerte Hermes im Garten herum. Sofie stürzte auf ihn zu, und er kam ihr entgegengesprungen. Sie legte die Arme um ihn, als ob der Hund alle Rätsel lösen könnte.
Wieder schrieb sie einen Zettel für ihre Mutter, gab diesmal aber auch Albertos Adresse an.
Als sie durch die Stadt gingen, dachte Sofie an den kommenden Tag. Sie dachte nicht so sehr an ihren Geburtstag, der würde ja sowieso erst am Johannisabend richtig gefeiert werden. Aber am nächsten Tag hatte Hilde Geburtstag. Sofie war überzeugt davon, dass an diesem Tag etwas ganz Außergewöhnliches passieren würde. Auf jeden Fall mussten die vielen Glückwünsche aus dem Libanon dann ein Ende nehmen.
Als sie den Marktplatz überquert hatten und sich der Altstadt näherten, kamen sie an einem Park mit einem Spielplatz vorbei. Hier blieb Hermes vor einer Bank stehen; offenbar sollte Sofie sich darauf setzen.
Sie setzte sich und kraulte dem gelben Hund den Nacken, während sie ihm in
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