Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Substanz zurückführt.«
»Sehr viel weniger einig könnten sie sich wohl kaum sein.«
»Der Unterschied zwischen Descartes und Spinoza ist nicht so groß, wie oft behauptet wird. Auch Descartes weist darauf hin, dass nur Gott durch sich selber existiert. Erst wenn Spinoza Gott und die Natur – oder Gott und die Schöpfung – gleichsetzt, entfernt er sich beträchlich von Descartes und auch von der jüdischen oder christlichen Auffassung.«
»Denn dann ist die Natur Gott, Schluss, aus.«
»Aber wenn Spinoza das Wort ›Natur‹ verwendet, dann denkt er nicht nur an die räumliche Natur. Unter Substanz, Gott oder Natur versteht er alles, was existiert, auch das, was aus Geist besteht.«
»Also sowohl Denken als auch Ausdehnung.«
»Ja, genau richtig. Spinoza zufolge kennen wir Menschen zwei von Gottes Eigenschaften oder Erscheinungsformen. Spinoza bezeichnet diese Eigenschaften als Gottes Attribute , und diese beiden Attribute sind eben gerade Descartes’ Denken und Ausdehnung. Gott – oder die Natur – erscheint also entweder als Denken oder als etwas im Raum. Nun ist es ja möglich, dass Gott noch unendlich viele andere Eigenschaften außer Denken und Ausdehnung hat, aber die Menschen kennen nur diese beiden Attribute.«
»Na gut, aber er drückt sich ja ganz schön kompliziert aus.«
»Ja, man braucht fast Hammer und Meißel, um sich durch Spinozas Sprache hindurchzukämpfen. Wir können uns vielleicht damit trösten, dass wir am Ende einen Gedanken finden, der ebenso kristallklar ist wie ein Diamant.«
»Ich warte gespannt.«
»Alles, was es in der Natur gibt, ist also entweder Denken oder Ausdehnung. Die einzelnen Phänomene, auf die wir in unserem täglichen Leben stoßen – zum Beispiel eine Blume oder ein Gedicht von Henrik Wergeland –, sind unterschiedliche Modi der Attribute Denken und Ausdehnung. Unter einem Modus – Mehrzahl ›Modi‹ – verstehen wir also eine bestimmte Art, in der die Substanz, Gott oder die Natur sich äußern. Eine Blume ist ein Modus des Attributes Ausdehnung und ein Gedicht über dieselbe Blume ein Modus des Attributes Denken. Aber im Grunde sind beide Ausdruck für ein und dasselbe: Substanz, Gott oder Natur.«
»Meine Güte, wie umständlich!«
»Aber bei Spinoza ist wirklich nur die Sprache so kompliziert. Unter seinen steifen Formulierungen versteckt sich eine wunderbare Erkenntnis, die so ungeheuer einfach ist, dass die Alltagssprache sie nicht erfassen kann.«
»Ich glaube aber, ich ziehe trotzdem die Alltagssprache vor.«
»Na gut. Dann fange ich eben bei dir selber an. Wenn du Bauchweh hast, was hat dann Schmerzen?«
»Das sagst du ja selber. Ich.«
»Stimmt. Und wenn du später daran denkst, wie du einmal Bauchweh hattest, was denkt dann?«
»Auch ich.«
»Denn du bist eine Person, die heute Bauchweh haben und morgen von einer Stimmung beeinflusst sein kann. Und Spinoza meinte auf dieselbe Weise, dass alle physischen Dinge, die uns umgeben oder sich um uns herum abspielen, Gott oder die Natur zum Ausdruck bringen. Das gilt auch für alle Gedanken, die gedacht werden. Auf diese Weise sind auch alle Gedanken, die gedacht werden, die Gedanken von Gott oder der Natur. Denn alles ist eins. Es gibt nur einen Gott, eine Natur oder eine Substanz.«
»Aber wenn ich etwas denke, dann denke ich doch. Und wenn ich mich bewege, dann bewege ich mich. Warum willst du Gott mit hineinziehen?«
»Dein Engagement gefällt mir. Aber wer bist du? Du bist Sofie Amundsen, aber du bist auch ein Ausdruck für etwas unendlich viel Größeres. Du kannst gern sagen, dass du denkst, oder dass du dich bewegst, aber kannst du nicht auch behaupten, dass die Natur deine Gedanken denkt und dass die Natur sich in dir bewegt? Das ist schon eine Frage, durch welche Linse du das betrachten willst.«
»Meinst du, dass ich nicht selber über mich bestimme?«
»Tja. Du hast vielleicht eine Art Freiheit, deinen Daumen so zu bewegen, wie du willst. Aber der Daumen kann sich nur nach seiner Natur bewegen. Er kann nicht von deiner Hand hüpfen und durchs Zimmer titschen. Und so hast du deinen Platz im Ganzen, mein Kind. Du bist Sofie, aber du bist auch ein Finger am Körper Gottes.«
»Also bestimmt Gott alles, was ich tue?«
»Oder die Natur oder die Naturgesetze. Spinoza hielt Gott – oder die Naturgesetze – für die innere Ursache von allem, was geschieht. Er ist keine äußere Ursache, denn Gott äußert sich durch die Naturgesetze und nur durch sie.«
»Ich weiß nicht, ob
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