Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Vernunftleben grundlegend ist, dass alles eine Ursache hat, oder dass sieben plus fünf zwölf ist.«
»Und was sagt dieses Moralgesetz?«
»Da es vor jeder Erfahrung liegt, ist es ›formal‹. Das bedeutet, dass es nicht mit bestimmten moralischen Wahlmöglichkeiten zusammenhängt. Es gilt für alle Menschen in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten. Es sagt also nicht, dass du in dieser oder jener Situation dies oder jenes tun sollst. Es besagt, wie du dich in allen Situationen zu verhalten hast.«
»Aber welchen Sinn hat ein Moralgesetz, wenn es uns nicht sagt, wie wir uns in einer bestimmten Situation zu verhalten haben?«
»Kant formuliert sein Moralgesetz als kategorischen Imperativ . Darunter versteht er, dass das Moralgesetz ›kategorisch‹ ist, das heißt, in allen Situationen gilt. Außerdem ist es ein ›Imperativ‹ und damit ein ›Befehl‹ und absolut unumgänglich.«
»Hm ...«
»Allerdings formuliert Kant seinen kategorischen Imperativ auf verschiedene Weise. Erstens sagt er, wir sollten immer so handeln, dass wir uns gleichzeitig wünschen können, die Regel, nach der wir handeln, würde allgemeines Gesetz. Wörtlich heißt es bei ihm: ›Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.‹«
»Wenn ich etwas tue, muss ich also sicher sein, dass ich mir wünschen kann, alle anderen würden in derselben Situation dasselbe tun.«
»Genau. Nur dann handelst du in Übereinstimmung mit deinem inneren moralischen Gesetz. Kant hat den kategorischen Imperativ auch so formuliert, dass wir andere Menschen immer als Zweck an sich selbst und nicht bloß als Mittel zu etwas anderem behandeln sollen .«
»Wir dürfen andere Menschen also nicht ›benutzen‹, nur um selber Vorteile zu erlangen.«
»Nein, denn alle Menschen sind ein Zweck an sich. Aber das gilt nicht nur für andere Menschen, das gilt auch für uns selber. Wir dürfen uns selber auch nicht als Mittel benutzen um etwas zu erreichen.«
»Das erinnert ein bisschen an die ›goldene Regel‹: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.«
»Ja, und das ist eine formale Richtlinie, die im Grunde alle ethischen Wahlmöglichkeiten umfasst. Du kannst gut behaupten, diese goldene Regel drücke in etwa das aus, was Kant als Moralgesetz bezeichnet hat.«
»Aber das sind doch auch bloß Behauptungen. Hume hatte wohl Recht damit, dass wir mit der Vernunft nicht beweisen können, was Recht und was Unrecht ist.«
»Kant hielt das Moralgesetz für ebenso absolut und allgemein gültig wie zum Beispiel das Kausalgesetz. Auch das lässt sich mit der Vernunft nicht beweisen und ist doch unumgänglich. Kein Mensch würde es bestreiten.«
»Ich habe langsam das Gefühl, dass wir eigentlich über das Gewissen reden. Denn alle Menschen haben wohl ein Gewissen.«
»Ja, wenn Kant das Moralgesetz beschreibt, beschreibt er das menschliche Gewissen. Wir können das, was das Gewissen sagt, nicht beschreiben, aber wir wissen es trotzdem.«
»Manchmal bin ich sehr nett und lieb zu anderen, einfach weil sich das für mich lohnt. Auf diese Weise kann ich zum Beispiel beliebt werden.«
»Aber wenn du mit anderen teilst, nur um beliebt zu werden, dann handelst du nicht in Übereinstimmung mit dem Moralgesetz. Vielleicht achtest du das Moralgesetz nicht. Vielleicht handelst du in einer Art oberflächlicher Übereinstimmung mit dem Moralgesetz – und das ist ja auch schon was –, aber etwas, das als moralische Handlung bezeichnet werden soll, muss das Ergebnis einer Selbstüberwindung sein. Nur wenn du etwas tust, weil du es für deine Pflicht hältst, dem Moralgesetz zu folgen, kannst du von einer moralischen Handlung sprechen. Kants Ethik wird deshalb oft als Pflichtethik bezeichnet.«
»Ich kann es für meine Pflicht halten, Geld für die Welthungerhilfe oder terre des hommes zu sammeln.«
»Ja, und dabei kommt es darauf an, dass du das tust, weil du es für richtig hältst. Selbst wenn das Geld, das du eingesammelt hast, unterwegs verloren geht oder niemals die Menschen satt macht, die es satt machen sollte, so hast du doch das Moralgesetz befolgt. Du hast mit der rechten Einstellung gehandelt und laut Kant ist die Einstellung entscheidend dafür, ob wir etwas als moralisch richtig bezeichnen können. Nicht die Konsequenzen einer Handlung sind entscheidend. Deshalb nennen wir Kants Ethik auch Gesinnungsethik .«
»Warum war es ihm so wichtig zu wissen, wann genau wir
Weitere Kostenlose Bücher