Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Spiegel-Hilde.«
»Oh – dann kann ich ihn mitnehmen.«
»Aber du bist doch wohl nicht das Mädchen im Spiegel?«
»Nein, aber ...«
»Ein Brief muss immer persönlich abgeliefert werden. Das hat mir Christopher Robin erst gestern wieder erklären müssen.«
»Aber ich kenne Hilde.«
»Das spielt keine Rolle. Auch wenn du einen Menschen sehr gut kennst, darfst du niemals seine Briefe lesen.«
»Ich meine doch nur, dass ich ihn Hilde geben kann.«
»Das ist etwas ganz anderes. Bitte sehr, Sofie. Wenn ich diesen Brief erst los bin, finde ich auch den Weg zu Ferkel. Um Spiegel-Hilde zu finden, brauchst du zuerst einen großen Spiegel. Aber das ist in dieser Gegend gar nicht so leicht.«
Und nun gab der kleine Bär Sofie den Zettel, den er in der Pfote gehalten hatte, und lief auf seinen kleinen Füßen davon. Als er verschwunden war, faltete Sofie den Zettel auseinander und las:
Liebe Hilde! Es ist eine Schande, dass Alberto Sofie nicht auch erzählt hat, dass Kant sich dafür aussprach, einen »Völkerbund« einzurichten. In der Schrift »Zum ewigen Frieden« schrieb er 1795, dass sich alle Länder zu einem Völkerbund zusammenschließen müssten, der dann für die friedliche Koexistenz der verschiedenen Nationen sorgen würde. Ungefähr 125 Jahre nach Erscheinen dieser Schrift – gleich nach dem Ersten Weltkrieg – wurde dieser Völkerbund tatsächlich gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er von der UNO abgelöst. Du kannst also gern sagen, dass Kant eine Art Pate der UN-Idee war. Kant ging es darum, dass die »praktische Vernunft« der Menschen die Staaten zwingt, einen »Naturzustand« zu verlassen, der immer wieder neue Kriege verursacht, und eine internationale Rechtsordnung zu schaffen, die Kriege verhindert. Obwohl der Weg bis zur Gründung eines wirklich funktionierenden Bundes der Völker lang sein kann, ist es unsere Pflicht, für die allgemeine und dauerhafte Friedenssicherung zu sorgen. Für Kant war die Einrichtung eines solchen Bundes ein fernes Ziel, du kannst es fast als das äußerste Ziel der Philosophie bezeichnen. Ich selber befinde mich derzeit im Libanon.
Liebe Grüße, Papa
Sofie steckte den Zettel in die Tasche und setzte ihren Nachhauseweg fort. Vor Begegnungen im Wald hatte Alberto sie gewarnt. Aber sie konnte den kleinen Bären doch nicht auf der ewigen Jagd nach Spiegel-Hilde umherirren lassen.
Die Romantik
... nach innen geht der geheimnisvolle Weg ...
Hilde ließ den großen Ordner auf ihre Knie sinken. Dann ließ sie ihn auch noch zu Boden gleiten.
Es war jetzt schon heller im Zimmer als vorhin, als sie ins Bett gegangen war. Sie schaute auf die Uhr. Es war fast drei. Sie drehte sich um und machte die Augen zu. Im Einschlafen fragte sie sich, warum ihr Vater jetzt plötzlich Rotkäppchen und Pu den Bär auftreten ließ.
Sie schlief bis elf Uhr am Vormittag. Danach spürte sie im ganzen Körper, dass sie die ganze Nacht intensiv geträumt hatte, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, wovon.
Sie ging nach unten und machte Frühstück. Ihre Mutter hatte den blauen Overall angezogen. Sie wollte zum Bootshaus und sich um das Boot kümmern. Auch wenn es nicht ins Wasser kam, musste es doch seetüchtig sein, wenn der Vater aus dem Libanon zurückkam.
»Kommst du mir helfen?«
»Erst muss ich noch ein bisschen lesen. Soll ich dir Tee und Frühstück bringen?«
»Hast du Frühstück gesagt?«
Als Hilde gegessen hatte, ging sie wieder auf ihr Zimmer, zog die Bettdecke glatt und machte es sich mit dem großen Ordner auf den Knien gemütlich.
Sofie schlüpfte durch die Hecke und stand bald in dem großen Garten, den sie einmal mit dem Garten Eden verglichen hatte ...
Jetzt sah sie, dass wegen des Unwetters gestern überall Zweige und Blätter herumlagen. Zwischen dem Unwetter und den losen Zweigen einerseits und ihren Begegnungen mit Rotkäppchen und Pu dem Bär andererseits schien ein Zusammenhang zu bestehen.
Sofie wischte Tannennadeln und Zweige von der Hollywoodschaukel. Gut, dass die Schaukel Plastikkissen hatte, die man nicht bei jedem Regen ins Haus holen musste. Dann ging Sofie ins Haus. Ihre Mutter war offenbar gerade gekommen. Sie räumte Limonadenflaschen in den Kühlschrank und auf dem Küchentisch standen ein Eiercremekuchen und ein kleiner Baumkuchen.
»Erwartest du Besuch?«, fragte Sofie, die ihren Geburtstag fast vergessen hatte.
»Ich dachte, trotz des Gartenfestes am Samstag sollten wir auch heute ein bisschen feiern.«
»Wie denn?«
»Ich
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