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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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aus Achtung vor dem Moralgesetz handeln? Ist es nicht wichtiger, dass das, was wir tun, anderen Menschen nützt?«
    »Doch, Kant würde dir da sicher nicht widersprechen. Aber nur, wenn wir selber wissen, dass wir aus Achtung vor dem Moralgesetz handeln, handeln wir in Freiheit .«
    »Bloß weil wir ein Gesetz befolgen, handeln wir in Freiheit? Ist das nicht ein bisschen seltsam?«
    »Kant meint, nein. Du weißt vielleicht noch, dass er ›behaupten‹ oder ›postulieren‹ musste, dass der Mensch einen freien Willen hat. Das ist ein wichtiger Punkt, denn Kant glaubte ja auch, dass alles dem Kausalgesetz folgt. Wie können wir da einen freien Willen haben?«
    »Nein, frag mich nicht.«
    »Hier teilt Kant die Menschheit in zwei Teile, und darin erinnert er an Descartes, der ja behauptete, der Mensch sei ein Doppelwesen, da er einen Körper und eine Vernunft hat. Als empfindendes Wesen sind wir voll und ganz den unwandelbaren Kausalgesetzen ausgeliefert, meint Kant. Wir entscheiden ja nicht, was wir empfinden; die Empfindungen stellen sich notgedrungen ein und prägen uns, ob wir nun wollen oder nicht. Aber der Mensch ist nicht nur ein Sinnenwesen. Wir sind auch Vernunftwesen.«
    »Erklären!«
    »Als Sinnenwesen gehören wir ganz und gar der Ordnung der Natur an. Wir sind deshalb auch dem Kausalgesetz unterworfen. So gesehen haben wir auch keinen freien Willen. Aber als Vernunftwesen haben wir darüber hinaus Anteil an der Welt ›an sich‹ – also an der Welt, wie sie unabhängig von unseren Empfindungen ist. Nur wenn wir unserer ›praktischen Vernunft‹ folgen – die uns befähigt, eine moralische Wahl zu treffen –, haben wir einen freien Willen. Denn wenn wir uns dem Moralgesetz beugen, dann erlassen wir selber das Gesetz, nach dem wir uns richten.«
    »Ja, irgendwie stimmt das. Schließlich sage ja ich – oder etwas in mir –, dass ich zu den anderen nicht so gemein sein soll.«
    »Wenn du selber beschließt, nicht mehr gemein zu sein – auch, wenn du damit deinen eigenen Interessen schadest –, dann handelst du in Freiheit.«
    »Man ist jedenfalls nicht besonders frei und selbständig, wenn man nur seinen Lüsten folgt.«
    »Man kann sich zum Sklaven von allem Möglichen machen. Ja, man kann sogar Sklave des eigenen Egoismus werden. Es erfordert ja gerade Selbständigkeit – und Freiheit –, sich über die eigenen Lüste und Laster zu erheben.«
    »Was ist mit den Tieren? Die folgen nur ihren Lüsten und Bedürfnissen. Haben die also keine solche Freiheit, einem Moralgesetz zu folgen?«
    »Nein, es ist gerade diese Freiheit, die uns zu Menschen macht.«
    »Das habe ich jetzt begriffen.«
    »Abschließend können wir vielleicht sagen, dass es Kant gelungen ist, einen Weg aus der Irre zu zeigen, in die die Philosophie durch den Streit zwischen Rationalisten und Empirikern geraten war. Mit Kant endet deshalb auch eine Epoche in der Geschichte der Philosophie. Er starb 1804 – beim Aufkommen der Epoche, die wir als Romantik bezeichnen. Auf seinem Grab in Königsberg steht eines seiner bekanntesten Zitate: ›Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.‹ Da hast du noch einmal die großen Rätsel, die ihn und seine Philosophie bewegten.«
    Alberto ließ sich im Sessel zurücksinken.
    »Mehr kommt nicht«, sagte er. »Ich glaube, das war das Wichtigste über Kant.«
    »Und es ist auch schon Viertel nach vier.«
    »Aber es gibt noch etwas. Bitte, warte noch einen Moment!«
    »Ich gehe nie, solange der Lehrer die Stunde nicht für beendet erklärt hat.«
    »Ich habe auch gesagt, dass Kant meint, wir hätten keine Freiheit, wenn wir nur als Sinnenwesen leben.«
    »Ja, so ungefähr.«
    »Aber wenn wir der universellen Vernunft folgen, dann sind wir frei und selbständig. Habe ich das auch gesagt?«
    »Ja. Warum wiederholst du das jetzt?«
    Alberto beugte sich zu Sofie hinüber, blickte ihr tief in die Augen und flüsterte:
    »Fall nicht auf alles herein, was du siehst, Sofie.«
    »Wie meinst du das?«
    »Wende dich einfach ab.«
    »Ich begreife wirklich nicht, was du meinst.«
    »Wir sagen doch oft: ›Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.‹ Aber du darfst es auch dann nicht glauben.«
    »So etwas Ähnliches hast du schon einmal gesagt.«
    »Über Parmenides, ja.«
    »Und ich weiß noch immer nicht, was du meinst.«
    »Himmel, wir

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