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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Kant etwas, das für die ›Praxis‹ des Menschen behauptet werden muss, also für sein Handeln und damit für seine Moral. ›Es ist moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen‹, sagte er.«
    Plötzlich schien jemand an die Tür zu klopfen. Sofie sprang sofort auf, und als Alberto ungerührt sitzen blieb, sagte sie:
    »Müssen wir nicht aufmachen?«
    Alberto zuckte mit den Schultern, stand aber schließlich auch auf. Sofie öffnete die Tür und draußen stand ein kleines Mädchen in einem weißen Sommerkleid und mit einem roten Käppchen auf dem Kopf. Es war dasselbe Mädchen, das Sofie schon am anderen Seeufer gesehen hatte. Jetzt sah sie, dass es einen Korb mit Proviant trug.
    »Hallo«, sagte Sofie. »Wer bist du denn?«
    »Rotkäppchen, siehst du das nicht?«
    Sofie sah zu Alberto hoch und Alberto nickte.
    »Du hast gehört, was sie gesagt hat.«
    »Ich suche das Haus meiner Großmutter«, erklärte die Kleine. »Sie ist alt und krank, aber jetzt bringe ich ihr Kuchen und Wein.«
    »Hier bist du falsch«, sagte Alberto. »Also mach, dass du weiterkommst.«
    Er machte dabei eine Handbewegung, als versuchte er, Fliegen zu verscheuchen.
    »Aber ich soll auch einen Brief abgeben«, erklärte das Mädchen mit dem roten Käppchen.
    Und sie zog einen kleinen Briefumschlag aus der Tasche und reichte ihn Sofie. Gleich darauf trippelte sie weiter.
    »Hüte dich vor dem Wolf!«, rief Sofie ihr nach.
    Alberto war schon wieder unterwegs zu seinem Sessel. Sofie folgte ihm und setzte sich ihm, wie vorher, gegenüber.
    »Rotkäppchen, gibt’s so was«, sagte Sofie kopfschüttelnd.
    »Und es hat keinen Sinn, sie zu warnen. Sie geht zum Haus ihrer Großmutter und da wird sie vom Wolf gefressen. Sie lernt nichts; alles wiederholt sich in alle Ewigkeit.«
    »Aber ich habe nie gehört, dass sie auf dem Weg zu ihrer Großmutter zuerst an einer anderen Hütte angeklopft hätte.«
    »Eine Bagatelle, Sofie.«
    Erst jetzt sah Sofie den Briefumschlag an. Darauf stand: »Für Hilde«. Sie öffnete den Umschlag und las laut vor:
    Liebe Hilde! Wenn das Gehirn des Menschen so einfach wäre, dass wir es verstehen könnten, dann wären wir so dumm, dass wir es doch nicht verstehen würden.
    Gruß, Papa
    Alberto nickte.
    »Ganz recht. Und ich glaube, Kant hätte etwas Ähnliches sagen können. Wir können nicht erwarten, zu verstehen, was wir sind . Vielleicht können wir eine Blume oder ein Insekt wirklich verstehen, aber niemals uns selber. Noch weniger können wir erwarten, das ganze Universum zu verstehen.«
    Sofie musste den seltsamen Satz noch mehrmals lesen, während Alberto fortfuhr:
    »Wir sollten uns nicht von Seeschlangen und ähnlichem Hokuspokus ablenken lassen. Ehe wir für heute Schluss machen, erzähle ich dir noch von Kants Ethik.«
    »Dann beeil dich, ich muss nach Hause.«
    »Humes Skepsis, was Vernunft und Sinne uns wirklich erzählen können, zwang Kant, viele der wichtigsten Fragen des Lebens noch einmal zu durchdenken. Das galt nicht zuletzt für den Bereich der Moral.«
    »Hume hat doch gesagt, wir könnten nicht beweisen, was Recht und was Unrecht ist. Denn wir können nicht von ›Ist-Sätzen‹ auf ›Soll-Sätze‹ schließen.«
    »Hume glaubte, dass weder unsere Vernunft noch unsere Erfahrungen den Unterschied zwischen Recht und Unrecht festlegen, sondern ganz einfach unsere Gefühle. Diese Grundlage erscheint Kant als zu dünn.«
    »Ja, das kann ich gut verstehen.«
    »Kant hatte von Anfang an ganz stark den Eindruck, dass der Unterschied zwischen Recht und Unrecht mehr als nur eine Gefühlssache sein musste. Darin stimmte er den Rationalisten zu, die erklärt hatten, es liege in der menschlichen Vernunft, Recht und Unrecht zu unterscheiden. Alle Menschen wissen, was Recht ist und was nicht, und wir wissen das nicht nur, weil wir es gelernt haben, sondern auch, weil es unserer Vernunft innewohnt. Kant glaubte, alle Menschen hätten eine praktische Vernunft , die uns jederzeit sagt, was im moralischen Bereich Recht ist und was Unrecht.«
    »Sie ist also angeboren?«
    »Die Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, ist ebenso angeboren wie alle anderen Eigenschaften der Vernunft. Alle Menschen fassen die Ereignisse in der Welt als ursächlich bestimmt auf – und alle haben auch Zugang zum selben universellen Moralgesetz . Dieses Moralgesetz hat dieselbe absolute Gültigkeit wie die physikalischen Naturgesetze. Es ist für unser moralisches Leben genauso grundlegend, wie es für unser

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