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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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umfassen.«
    »Aber die Romantik war noch so eine Epoche?«
    »Ja, und wie gesagt: die letzte in Europa. Sie hat in Deutschland angefangen, und zwar als Reaktion auf die einseitige Glorifizierung der Vernunft in der Aufklärungszeit. Nach Kant und seiner kalten Vernunftphilosophie schienen die jungen Leute in Deutschland nun erleichtert aufzuatmen.«
    »Und was haben sie an die Stelle der Vernunft gesetzt?«
    »Die neuen Schlagwörter waren ›Gefühl‹, ›Phantasie‹, ›Erleben‹ und ›Sehnsucht‹. Auch einige Denker der Aufklärung hatten auf die Bedeutung der Gefühle hingewiesen – nicht zuletzt Rousseau – und die einseitige Betonung der Vernunft kritisiert. Jetzt aber wurde diese Unterströmung die eigentliche Hauptströmung des deutschen Kulturlebens.«
    »Kant war also nicht lange beliebt?«
    »Ja und nein. Viele Romantiker verstanden sich sogar als Kants Erben. Kant hatte ja erklärt, dass es Grenzen dafür gibt, was wir wissen können. Andererseits hatte er gezeigt, wie wichtig der Beitrag des Ichs zur Erkenntnis ist. Und jetzt, in der Romantik, erhielt das einzelne Individuum sozusagen freie Fahrt für seine ganz persönliche Deutung des Daseins. Die Romantiker bekannten sich zu einer fast hemmungslosen Glorifizierung des Ichs. Der Inbegriff der romantischen Persönlichkeit ist darum auch das künstlerische Genie.«
    »Gab es denn viele Genies in der Zeit?«
    »Einige. Beethoven zum Beispiel. In seiner Musik begegnet uns eine Person, die ihre eigenen Gefühle und Sehnsüchte zum Ausdruck bringt. Auf diese Weise war Beethoven ein ›freier‹ Künstler – im Gegensatz zu den Meistern des Barock wie Bach und Händel , die ihre Werke zur Ehre Gottes und oft nach strengen Regeln komponierten.«
    »Ich kenne nur seine Mondscheinsonate und die Schicksalssymphonie.«
    »Aber du hörst, wie romantisch die Mondscheinsonate ist und wie dramatisch Beethoven sich in der Schicksalssymphonie ausdrückt.«
    »Auch die Humanisten der Renaissance waren Individualisten, hast du gesagt.«
    »Ja, es gibt viele Parallelen zwischen der Renaissance und der Romantik. Eine solche Parallele war nicht zuletzt das große Gewicht, das auf die Bedeutung der Kunst für die menschliche Erkenntnis gelegt wurde. Auch hier hatte übrigens Kant der Romantik vorgearbeitet. In seiner Ästhetik hatte er untersucht, was geschieht, wenn wir von etwas Schönem überwältigt werden, einem Kunstwerk zum Beispiel. Wenn wir uns einem Kunstwerk ohne andere Interessen nähern als dem, es so intensiv wie möglich zu ›erleben‹, überschreiten wir die Grenze dessen, was wir ›wissen‹ können, also die Grenze unserer Vernunft.«
    »Das heißt, der Künstler kann uns etwas vermitteln, was die Philosophen uns nicht vermitteln können?«
    »So sah das Kant und mit ihm die Romantiker. Kant zufolge spielt der Künstler frei mit seiner Erkenntnisfähigkeit. Der Dichter Friedrich Schiller hat Kants Gedanken weiterentwickelt. Er meinte, die Tätigkeit des Künstlers sei wie ein Spiel, und nur, wenn der Mensch spiele, sei er frei, denn dann mache er seine eigenen Gesetze. Die Romantiker glaubten nun, allein die Kunst könne uns dem ›Unaussprechlichen‹ näher bringen. Einige zogen daraus noch die letzte Konsequenz und verglichen den Künstler mit Gott.«
    »Denn der Künstler schafft ja seine eigene Wirklichkeit, genau wie Gott die Welt erschaffen hat.«
    »Man sagte, der Künstler habe eine Art weltenschaffende Einbildungskraft. In seiner künstlerischen Verzückung könne er erleben, dass die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verschwindet. Der Dichter Novalis , eins der jungen Genies der Romantik, sagte: ›Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt.‹ Er schrieb einen Mittelalterroman mit dem Titel ›Heinrich von Ofterdingen‹, der noch unvollendet war, als der Autor im Jahr 1801 starb, der aber dennoch große Bedeutung für die Romantik hatte. Wir lesen darin über den jungen Heinrich, der die ›blaue Blume‹ sucht, die er einmal im Traum gesehen hat und nach der er sich seither sehnt. Der englische Romantiker Coleridge hat denselben Gedanken so ausgedrückt:
    What if you slept? And what if, in your sleep, you dreamed? And what if, in your dream, you went to heaven and there plucked a strange and beautiful flower? And what if, when you awoke, you had the flower in your hand? Ah, what then?«
    »Das ist schön.«
    »Diese Sehnsucht nach etwas Fernem und Unerreichbarem war typisch für die Romantiker. Sie konnten sich auch nach einer

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