Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
zweiundzwanzig Jahren, erhielt er einen Brief, der den ganzen Rest seines Lebens bestimmen sollte ...«
»Was stand in diesem Brief?«
»Der Brief stammte von seinem Freund und Lehrer John Steven Henslow. Er schrieb, er sei gebeten worden, einem Kapitän Fitzroy, der im Regierungsauftrag Südamerikas Südspitze kartieren sollte, einen Naturforscher zu empfehlen, und er habe erklärt, dass er Darwin für die bestqualifizierte Person für einen solchen Auftrag halte. Über das Gehalt für den gesuchten Forscher wisse er nichts, aber die Reise werde zwei Jahre dauern ...«
»Was du dir alles merken kannst!«
»Eine Bagatelle, Sofie.«
»Und er hat ja gesagt?«
»Er hatte riesige Lust, die Gelegenheit wahrzunehmen, aber damals taten junge Männer nichts ohne Zustimmung ihrer Eltern. Darwin fragte seinen Vater und der stimmte nach langem Hin und Her zu – worauf er auch noch die Reise seines Sohnes bezahlen musste. Was das Gehalt betraf, stellte sich nämlich heraus, dass überhaupt keins vorgesehen war ...«
»Oh ...«
»Das Schiff gehörte der Marine und hieß H.M.S. Beagle . Am 27. Dezember 1831 stach die Beagle von Plymouth aus mit Kurs nach Südamerika in See und sie kehrte erst im Oktober 1836 nach England zurück. Aus den zwei Jahren wurden also fünf. Aber schließlich wurde auch aus der Fahrt nach Südamerika eine ganze Weltreise. Und wir reden hier über die allerwichtigste Forschungsreise neuerer Zeit.«
»Sind sie wirklich um die ganze Welt gesegelt?«
»Im wahrsten Sinne des Wortes, ja. Von Südamerika ging die Reise weiter durch den Pazifik nach Neuseeland, Australien und Südafrika. Von dort aus segelten sie noch einmal nach Südamerika, um endlich nach England zurückzukehren. Darwin selber hat die Fahrt mit der Beagle als das wirklich bedeutungsvollste Ereignis seines ganzen Lebens bezeichnet.«
»Es war wohl nicht so leicht, auf dem Meer Naturforscher zu sein?«
»Aber während der ersten Jahre fuhr die Beagle an der südamerikanischen Küste hin und her. Das gab Darwin viele Möglichkeiten, sich auch an Land mit diesem Erdteil vertraut zu machen. Von entscheidender Bedeutung waren außerdem die vielen Stippvisiten auf den Galapagosinseln im Stillen Ozean westlich von Südamerika. Auf diese Weise konnte er reiches Material sammeln, das nach und nach in die Heimat geschickt wurde. Seine vielen Überlegungen über die Natur und die Geschichte des Lebens behielt er allerdings für sich. Als er mit nur siebenundzwanzig Jahren nach Hause zurückkam, war er bereits ein berühmter Naturforscher. Und insgeheim hatte er auch schon eine klare Vorstellung von dem, was einmal seine Entwicklungstheorie werden sollte. Trotzdem dauerte es noch viele Jahre, bis er sein Hauptwerk veröffentlichte. Denn Darwin war ein vorsichtiger Mann, Sofie. Und das gehört sich ja auch so für einen Naturforscher.«
»Wie hieß dieses Hauptwerk?«
»Naja, es gab mehrere. Aber das Buch, das in England die wütendsten Debatten hervorrief, war ›Die Entstehung der Arten‹, das 1859 erschien. Sein vollständiger Titel lautete: ›On the Origin of Species by Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life‹. Dieser lange Titel ist im Grunde eine Zusammenfassung von Darwins Theorie.«
»Dann solltest du ihn mir wirklich übersetzen.«
»Das ist gar nicht so einfach, denn die darin vorkommenden Begriffe wurden seither verschieden übersetzt. Eine heutige Übersetzung könnte lauten: ›Über die Entstehung der Arten durch natürliche Auslese oder das Erhaltenbleiben der begünstigten Rassen im Kampf ums Dasein‹. Statt ›natürliche Auslese‹ sagt man aber auch ›natürliche Zuchtwahl‹, statt ›Erhaltenbleiben‹ ›Überleben‹, und manche meinen, statt ›Kampf ums Dasein‹ solle man, weil es so kriegerisch klingt, besser ›Ringen um die Existenz‹ sagen.«
»Jedenfalls ist es wirklich ein inhaltsreicher Titel.«
»Wir nehmen ihn uns Stückchen für Stückchen vor. In der ›Entstehung der Arten‹ trug Darwin zwei Theorien oder Hauptthesen vor: Erstens ging er davon aus, dass alle jetzt lebenden Pflanzen und Tiere von früheren, primitiveren Formen abstammen. Er setzte also eine biologische Entwicklung voraus. Zweitens erklärte er, dass diese Entwicklung der ›natürlichen Auslese‹ zu verdanken sei.«
»Weil die Stärksten überleben, ja?«
»Wir wollen uns zuerst auf den eigentlichen Entwicklungsgedanken konzentrieren. Der allein war nämlich nicht besonders
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