Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
originell. In gewissen Kreisen war die Annahme einer biologischen Entwicklung bereits um das Jahr 1800 recht verbreitet. Tonangebend war darin der französische Zoologe Jean de Lamarck . Noch vor ihm hatte Darwins Großvater, Erasmus Darwin , die Theorie aufgestellt, dass Pflanzen und Tiere sich aus einigen wenigen primitiven Arten entwickelt hätten. Aber keiner hatte eine akzeptable Erklärung dafür liefern können, wie eine solche Entwicklung vor sich gegangen sein sollte. Und deshalb waren sie für die Kirchenmänner auch keine so gefährlichen Widersacher.«
»Im Gegensatz zu Darwin?«
»Ja, und das hatte seinen Grund. Sowohl die Kirchenleute als auch viele Wissenschaftler hielten sich an die biblische Lehre, nach der die verschiedenen Pflanzen- und Tierarten unveränderlich sind. Sie gingen davon aus, dass jede einzelne Tierart ein für allemal durch einen besonderen Schöpfungsakt entstanden war. Diese christliche Anschauung stimmte dazu noch mit denen von Platon und Aristoteles überein.«
»Wie denn?«
»Platons Ideenlehre ging ja davon aus, dass alle Tierarten unveränderlich waren, da sie nach dem Muster der jeweils ewigen Idee oder Form geschaffen waren. Dass die Tierarten unveränderlich waren, war auch in Aristoteles’ Philosophie ein Grundelement. Aber gerade zu Darwins Zeit wurden einige Beobachtungen und Funde gemacht, die diese traditionelle Auffassung auf eine neue Probe stellten.«
»Was waren das für Beobachtungen und Funde?«
»Erstens wurden immer neue Fossilienfunde gemacht und zweitens fand man große Skelettreste ausgestorbener Tiere. Darwin selber wunderte sich außerdem darüber, dass in Gebirgen Reste von Meerestieren entdeckt wurden. In Südamerika hatte er hoch oben in den Anden selber solche Entdeckungen gemacht. Was aber haben Meerestiere hoch oben in den Anden verloren, Sofie? Kannst du mir das beantworten?«
»Nein.«
»Einige meinten, Menschen oder Tiere hätten sie dort hinterlassen. Andere meinten, Gott habe solche Fossilien und Reste von Meerestieren geschaffen, um die Gottlosen in die Irre zu führen.«
»Was meinte die Wissenschaft?«
»Die meisten Geologen hielten sich an eine ›Katastrophentheorie‹, nach der die Erde mehrmals von großen Überschwemmungen, Erdbeben und anderen Katastrophen heimgesucht worden war, die alles Leben ausgerottet hatten. Eine solche Katastrophe gibt es ja auch in der Bibel: die große Sintflut, wegen der Noah seine Arche baute. Nach jeder Katastrophe, so wurde gelehrt, habe Gott dann das irdische Leben erneuert, indem er neue – und vollkommenere – Pflanzen und Tiere schuf.«
»Dann wären die Fossilien Abdrücke all der früheren Lebensformen, die durch solche gewaltigen Katastrophen ausgerottet worden waren?«
»Genau. Es hieß zum Beispiel, die Fossilien seien die Abdrücke von Tieren, für die in der Arche kein Platz mehr gewesen sei. Aber als Darwin mit der Beagle losfuhr, nahm er den ersten Band des Werkes ›Principles of Geology‹ des englischen Geologen Charles Lyell mit. Der hielt die heutige Geographie der Erde – mit hohen Bergen und tiefen Tälern – für das Resultat einer unendlich langen und langsamen Entwicklung und erklärte, auch sehr kleine Veränderungen könnten zu großen geographischen Umwälzungen führen, wenn man nur die langen Zeiträume mit in Betracht ziehe.«
»An was für Veränderungen dachte er da?«
»Er dachte an dieselben Kräfte, die noch heute wirken: an Wetter und Wind, Eisschmelze, Erdbeben und Erdstöße. Es heißt ja, dass steter Tropfen den Stein höhlt – nicht durch seine Kraft, sondern durch seine Stetigkeit. Lyell glaubte, solche kleinen, schrittweisen Veränderungen über einen langen Zeitraum könnten die Natur vollständig verändern. Und Darwin ahnte, dieser Gedanke könnte nicht nur erklären, warum er hoch oben in den Anden Reste von Seetieren fand. Er vergaß sein ganzes Forscherleben lang nie, dass kleine, schrittweise Veränderungen zu dramatischen Umwälzungen führen können, wenn man den Faktor Zeit mitbedenkt.«
»Er dachte, eine ähnliche Erklärung könnte sich auch auf die Entwicklung der Tiere anwenden lassen?«
»Ja, diese Frage stellte er sich. Aber wie gesagt: Darwin war ein vorsichtiger Mann. Er stellte sich die Fragen lange, ehe er sich an die Antworten herantraute. Auf diese Weise verwendete er die Methode aller echten Philosophen, die besagt: Fragen ist wichtig, aber mit der Antwort eilt es nicht immer.«
»Ich verstehe.«
»Ein entscheidender
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