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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Individuum durch eigene Anstrengung erwirbt, an die Nachkommenschaft vererbt werden. Aber diese Lehre, dass die ›erworbenen Eigenschaften‹ erblich sein sollten, wies Darwin zurück – eben weil Lamarck seine kühnen Behauptungen nicht beweisen konnte. Aber jetzt gab es etwas anderes – und viel näher Liegendes –, an das Darwin immer öfter dachte. Du kannst fast sagen, dass der eigentliche Mechanismus für die Entwicklung der Arten direkt vor seiner Nase lag.«
    »Ich bin schon sehr gespannt.«
    »Aber du sollst diesen Mechanismus selber entdecken. Deshalb frage ich: Wenn du drei Kühe hast, aber nur für zwei genug Futter, was machst du dann?«
    »Dann muss ich vielleicht eine Kuh schlachten?«
    »Genau ... und welche Kuh würdest du schlachten?«
    »Sicher die, die am wenigsten Milch gibt?«
    »Meinst du wirklich?«
    »Ja, das ist doch logisch.«
    »Und genau das machen die Menschen schon seit Jahrtausenden. Aber wir sind mit den beiden Kühen noch nicht fertig. Angenommen, du willst eine davon decken lassen. Welche suchst du dafür aus?«
    »Die, die am meisten Milch gibt. Dann wird nämlich das Kalb sicher auch eine gute Milchkuh.«
    »Dir sind gute Milchkühe also lieber als schlechte? Dann brauchen wir nur noch eine Aufgabe. Wenn du gerne jagst und zwei Schweißhunde hast, aber einen davon hergeben musst, welchen Hund würdest du dann behalten?«
    »Ich würde natürlich den behalten, der die beste Witterung für das Wild hat, das ich jagen will.«
    »Dir wäre also der bessere Schweißhund lieber, ja. Und so, Sofie, betreiben die Menschen seit über zehntausend Jahren Tierzucht. Die Hühner haben nicht immer fünf Eier die Woche gelegt, die Schafe hatten nicht immer soviel Wolle und die Pferde waren nicht immer gleich stark und schnell. Aber die Menschen haben eine künstliche Auswahl getroffen. Das gilt auch für das Pflanzenreich. Man setzt keine schlechten Kartoffeln, wenn man bessere Setzlinge bekommen kann. Man macht sich nicht die Mühe, kornlose Ähren zu schneiden. Darwin erklärt, dass keine zwei Kühe, keine zwei Ähren, keine zwei Hunde und keine zwei Finken ganz gleich sind. Die Natur weist eine enorme Variationsbreite auf. Sogar innerhalb ein und derselben Art gibt es keine zwei ganz gleichen Individuen. Das hast du vielleicht erfahren, als du aus der blauen Flasche getrunken hast.«
    »Ja, das kann ich dir sagen!«
    »Darwin musste sich nun fragen: Könnte es wohl auch in der Natur einen entsprechenden Mechanismus geben? Könnte es möglich sein, dass auch die Natur eine solche, dann ›natürliche‹ Auswahl von Individuen trifft, die groß werden dürfen? Und nicht zuletzt: Könnte so ein Mechanismus über sehr lange Zeit ganz neue Pflanzen- und Tierarten entstehen lassen?«
    »Ich tippe, die Antwort ist ja.«
    »Noch immer konnte Darwin sich nicht recht vorstellen, wie eine ›natürliche‹ Auswahl vor sich gehen sollte. Aber im Oktober 1838 – genau zwei Jahre nach seiner Heimkehr mit der Beagle – fiel ihm zufällig ein kleines Buch des Bevölkerungsexperten Thomas Malthus in die Hände. Das Buch hieß ›An Essay on the Principle of Population‹. Der Amerikaner Benjamin Franklin , der unter anderem den Blitzableiter erfunden hatte, hatte Malthus auf die Idee zu diesem Buch gebracht. Franklin hatte darauf hingewiesen, dass es auch in der Natur begrenzende Faktoren geben müsse, denn sonst hätte sich irgendwann eine einzelne Pflanzen- oder Tierart über die ganze Erde verbreitet. Nur dadurch, dass es verschiedene Arten gebe, hielten sie einander in Schach.«
    »Ich verstehe.«
    »Malthus führte diesen Gedanken weiter und wandte ihn auf die Bevölkerungssituation der Erde an. Er erklärte, die Vermehrungsfähigkeit der Menschen sei so groß, dass immer mehr Kinder geboren würden, als überhaupt erwachsen werden könnten. Und da die Nahrungsmittelproduktion niemals mit dem Bevölkerungszuwachs Schritt halten könne, sei eine große Anzahl von Menschen dazu verdammt, im Kampf ums Dasein unterzugehen. Wer erwachsen werde – und damit den Bestand seiner Familie sichere –, gehöre zu denen, die sich im Überlebenskampf am besten durchgesetzt haben.«
    »Das klingt logisch.«
    »Und genau das war der universelle Mechanismus, nach dem Darwin gesucht hatte. Plötzlich hatte er eine Erklärung dafür, wie die Entwicklung verläuft. Verantwortlich dafür ist die natürliche Auslese im Kampf ums Dasein – wer der Umwelt am besten angepasst ist, wird überleben und seiner Art den

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