Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Mårbacka im Värmland zwischengelandet. Dort traf Nils eine alte Frau, die schon lange ein Buch über Schweden hatte schreiben wollen, das Schulkindern Spaß machen sollte. Es sollte lehrreich sein und die volle Wahrheit enthalten, sagte sie immer. Als sie hörte, was Nils alles erlebt hatte, beschloss sie, ein Buch darüber zu schreiben, was er von meinem Gänserücken aus gesehen hatte.«
»Das ist ja erstaunlich!«
»Offen gestanden, war es auch ein bisschen ironisch. Denn wir waren ja schon drin in diesem Buch.«
Plötzlich spürte Sofie einen Schlag gegen ihre Wange. Und im nächsten Augenblick war sie winzig klein. Der Baum wirkte jetzt wie ein ganzer Wald und die Gans war so groß wie ein Pferd.
»So, und jetzt komm«, sagte die Gans.
Sofie spazierte über den Ast und kletterte auf den Gänserücken. Die Federn waren weich, aber jetzt, wo sie so klein war, stachen sie mehr, als dass sie kitzelten.
Kaum hatte sie sich richtig hingesetzt, als die Gans auch schon losflog. Sie flogen hoch über den Bäumen. Sofie blickte auf den See und die Majorshütte hinunter. Dort unten saß Alberto und schmiedete komplizierte Pläne.
»Mehr Sightseeing gibt’s nicht«, sagte die Gans und schlug dabei mit den Flügeln.
Dann setzte sie zur Landung am Fuße des Baumes an, auf den Sofie erst vor kurzem geklettert war. Als sie auf dem Boden aufsetzte, kullerte Sofie von ihrem Rücken. Nachdem sie sich zweimal im Heidekraut überschlagen hatte, setzte sie sich auf. Verwundert stellte sie fest, dass sie plötzlich wieder normal groß war.
Die Gans watschelte zweimal um sie herum.
»Tausend Dank für deine Hilfe«, sagte Sofie.
»Das war doch bloß eine Bagatelle. Hast du nicht gesagt, dass das hier ein Philosophiebuch ist?«
»Nein, das hast du gesagt.«
»Naja, das kommt ja aufs selbe heraus. Wenn es nach mir ginge, dann hätte ich dich gern durch die gesamte Philosophiegeschichte geflogen, so, wie ich Nils Holgersson durch Schweden geflogen habe. Wir hätten über Milet und Athen, Jerusalem und Alexandria, Rom und Florenz, London und Paris, Jena und Heidelberg, Berlin und Kopenhagen kreisen können ...«
»Danke, das reicht.«
»Aber selbst für eine sehr ironische Gans wäre es eine ganz schöne Leistung, quer durch die Jahrhunderte zu fliegen. Schwedische Regierungsbezirke zu überqueren, ist da schon einfacher ...«
Damit nahm die Gans Anlauf – und flatterte in die Luft.
Sofie war völlig erschöpft, aber als sie danach durch ihre Höhle kroch, überlegte sie sich, dass Alberto mit ihren Ablenkungsmanövern sicher zufrieden gewesen wäre. In der letzten Stunde hatte der Major ja wohl kaum viel an ihn denken können. Es sei denn, er litt an einer sehr ernsthaften Persönlichkeitsspaltung.
Sofie hatte gerade das Haus betreten, als ihre Mutter von der Arbeit kam. Das rettete sie vor dem Geständnis, dass eine zahme Gans ihr von einem hohen Baum heruntergeholfen hatte.
Nach dem Essen machten sie sich an die Vorbereitungen für das Gartenfest. Sie holten eine fast vier Meter lange Tischplatte vom Dachboden und trugen sie in den Garten. Dann liefen sie wieder nach oben und holten Böcke, die die Platte tragen sollten.
Sie wollten den Tisch unter den Obstbäumen decken. Die große Platte war zuletzt am zehnten Hochzeitstag der Eltern benutzt worden. Damals war Sofie erst acht Jahre alt gewesen, aber sie erinnerte sich noch genau an das große Gartenfest, bei dem alles an Freunden und Bekannten erschienen war, was einigermaßen aufrecht stehen konnte.
Der Wetterbericht war wunderbar. Seit dem scheußlichen Gewitter am Tag vor Sofies Geburtstag war nicht ein Regentropfen gefallen. Mit dem Tischdecken wollten sie aber doch bis Samstag Vormittag warten. Sofies Mutter war schon zufrieden, dass der Tisch im Garten stand.
Später an diesem Abend buken sie aus zwei verschiedenen Teigen Brötchen und einen Hefezopf. Es sollte Brathähnchen und Salat geben. Und Limonade. Sofie hatte schreckliche Angst, irgendwelche Jungen aus ihrer Klasse könnten Bier mitbringen; wenn sie sich vor etwas fürchtete, dann vor besoffener Randale.
Als Sofie ins Bett wollte, musste ihre Mutter sich noch einmal versichern lassen, dass Alberto wirklich zum Fest kommen würde.
»Sicher kommt er. Er hat sogar versprochen, ein philosophisches Kunststück vorzuführen.«
»Ein philosophisches Kunststück? Was soll das denn sein?«
»Tja ... wenn er Zauberkünstler wäre, würde er uns wahrscheinlich was vorzaubern, vielleicht ein weißes
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