Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
...«
»Trotzdem hat er eines vergessen.«
»Was könnte das sein?«
»Vielleicht ist er sich seines eigenen Traumes schmerzlich bewusst. Er ist über alles orientiert, was wir sagen und tun – so, wie sich der Träumende an den manifesten Trauminhalt des Traumes erinnert. Er führt dabei ja die Feder. Aber selbst wenn er sich an alles erinnert, was wir zueinander sagen, ist er noch immer nicht richtig wach.«
»Wie meinst du das?«
»Er kennt die latenten Traumgedanken nicht, Sofie. Er vergisst, dass das hier auch ein verkleideter Traum ist.«
»Das hört sich so komisch an!«
»Das findet der Major auch. Und zwar, weil er seine eigene Traumsprache nicht versteht. Und darüber sollten wir uns freuen. Das bringt uns nämlich ein Quentchen Freiheit. Mit dieser Freiheit werden wir uns bald aus seinem schlammigen Bewusstsein herauskämpfen, wie muntere Wühlmäuse, die an einem warmen Sommertag in den Sonnenschein hinausspringen.«
»Meinst du, wir schaffen das?«
»Wir müssen es schaffen. Innerhalb von zwei Tagen werde ich dir einen neuen Himmel geben. Dann weiß der Major nicht mehr, wo die Wühlmäuse sind oder wann sie wieder zum Vorschein kommen werden.«
»Egal, ob wir nun Traumbilder sind oder nicht, ich bin jedenfalls auch eine Tochter. Es ist fünf Uhr. Jetzt muss ich nach Hause und das Gartenfest vorbereiten.«
»Mmmm ... kannst du mir unterwegs einen kleinen Gefallen tun?«
»Was denn?«
»Versuch, ein wenig extra Aufmerksamkeit zu erregen. Gib dir Mühe, damit der Major dich auf dem ganzen Heimweg nicht aus den Augen lässt. Versuch, an ihn zu denken, wenn du nach Hause kommst – dann denkt er auch an dich.«
»Und wozu soll das gut sein?«
»Dann kann ich in aller Ruhe weiter an meinem Geheimplan arbeiten. Ich tauche ganz tief ins Unterbewusstsein des Majors ab, Sofie. Und da bleibe ich, bis wir uns wieder sehen.«
Unsere eigene Zeit
... der Mensch ist zur Freiheit verurteilt ...
Der Wecker zeigte 23.55. Hilde starrte die Decke an. Sie versuchte, ihren Assoziationen freien Lauf zu lassen. Immer wenn sie mitten in einer Gedankenkette innehielt, versuchte sie sich zu fragen, warum sie nicht weiterdachte.
Sie wollte doch wohl nichts verdrängen?
Wenn sie nun einfach alle Zensur ausschalten könnte, würde sie vielleicht anfangen, in wachem Zustand zu träumen. Dieser Gedanke war ein bisschen unheimlich.
Je mehr sie versuchte, sich zu entspannen und sich ihren Gedanken und Bildern zu öffnen, desto mehr hatte sie das Gefühl, in der Majorshütte zu sein, am See, im Wald.
Was heckte Alberto jetzt wohl aus? Naja – natürlich heckte ihr Vater aus, dass Alberto etwas ausheckte. Ob er wohl selber wusste, was das sein würde? Vielleicht versuchte er, seine eigenen Zügel so sehr zu lockern, dass Alberto ihn am Ende selber überraschte?
Viele Seiten waren nicht mehr übrig. Ob sie auf der letzten nachsehen sollte? Nein, das wäre Pfusch. Aber da war außerdem noch etwas: Hilde war gar nicht überzeugt davon, dass schon feststand, was auf der letzten Seite passieren würde.
War das kein seltsamer Gedanke? Der Ordner war ja hier – ihr Vater konnte unmöglich noch etwas hinzufügen. Höchstens Alberto, wenn er das schaffte. Die Überraschung ...
Hilde würde jedenfalls auch selber für ein paar Überraschungen sorgen. Über sie hatte Major Knag keine Kontrolle. Aber hatte sie über sich selber Kontrolle?
Was war Bewusstsein? War das nicht eins der allergrößten Rätsel des Universums? Was war Gedächtnis? Was sorgt dafür, dass wir uns an alles »erinnern«, was wir gesehen und erlebt haben? Was für ein Mechanismus lässt uns fast jede Nacht märchenhafte Träume hervorzaubern? – Während sie über diese Fragen nachdachte, schloss Hilde ab und zu die Augen. Dann machte sie sie wieder auf und starrte weiter die Decke an. Am Ende vergaß sie, sie zu öffnen.
Sie schlief.
Als sie von wütendem Möwengeschrei geweckt wurde, zeigte die Uhr 6.66. Das war ja eine komische Zahl! Hilde sprang aus dem Bett. Wie immer ging sie ans Fenster und sah auf die Bucht hinaus. Das war ihr zur Gewohnheit geworden, sommers wie winters.
Während sie dort stand, hatte sie plötzlich das Gefühl, dass in ihrem Kopf ein Farbkasten explodierte. Ihr fiel ein, was sie geträumt hatte. Aber es war mehr gewesen als nur ein normaler Traum. Er hatte so lebendige Farben und Konturen gehabt ...
Sie hatte geträumt, dass ihr Vater aus dem Libanon zurückkam, und der ganze Traum war wie eine Erweiterung von Sofies
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