Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Kaninchen aus einem weißen Zylinder ziehen ...«
»Schon wieder?«
»... aber als Philosoph macht er eben ein philosophisches Kunststück. Schließlich ist es auch ein philosophisches Gartenfest.«
»Alte Quatschtüte!«
»Hast du dir schon überlegt, dass du vielleicht auch etwas beisteuern könntest?«
»Sicher, Sofie. Irgendwas werde ich schon ...«
»Eine Rede?«
»Nein, ich verrate nichts. Gute Nacht!«
Am nächsten Morgen wurde Sofie früh von ihrer Mutter geweckt, die »Mach’s gut!« sagen wollte, ehe sie zur Arbeit ging. Sie gab Sofie eine kleine Liste von Dingen, die sie in der Stadt für das Gartenfest kaufen sollte.
Kaum hatte sie das Haus verlassen, als auch schon das Telefon klingelte. Es war Alberto. Er hatte wohl begriffen, wann Sofie allein zu Hause war.
»Was macht dein Geheimplan?«
»Pst! Kein Wort. Er darf nicht die kleinste Möglichkeit haben, sich darüber Gedanken zu machen.«
»Ich glaube, ich habe ihn gestern sehr gut abgelenkt.«
»Das ist schön.«
»Was ist mit der Philosophie?«
»Deshalb rufe ich an. Wir haben ja schon unser eigenes Jahrhundert erreicht. Von nun an solltest du dich allein zurechtfinden können. Die Grundlage dafür hast du. Aber wir werden uns auch noch zu einem kleinen Gespräch über unsere eigene Zeit treffen.«
»Ich muss in die Stadt ...«
»Das trifft sich ausgezeichnet. Ich sagte doch, wir würden über unsere eigene Zeit sprechen.«
»Und?«
»Da ist es gut, mittendrin zu sein sozusagen.«
»Ich soll nicht zu dir nach Hause kommen?«
»Nein, bloß nicht. Hier sieht es schrecklich aus! Ich suche überall nach versteckten Mikrophonen.«
»Ach ...«
»Gleich oben am Marktplatz gibt es eine neues Café. ›Café Pierre‹. Weißt du, wo das ist?«
»Klar. Wann soll ich kommen?«
»Um zwölf.«
»Um zwölf im ›Café Pierre‹.«
»Mehr sagen wir jetzt nicht.«
»Mach’s gut.«
Zwei Minuten nach zwölf steckte Sofie ihren Kopf ins ›Café Pierre‹. Es war eins von diesen neumodischen Cafés mit runden Tischen und schwarzen Stühlen und verkehrt herum aufgehängten Flaschen mit Zapfmechanismus.
Es war kein großes Lokal und Sofie bemerkte als Erstes, dass Alberto nicht da war. Fast alle Tische waren besetzt, aber jedem einzelnen Gesicht sah Sofie nur an, dass es nicht Alberto war.
Sie war nicht daran gewöhnt, allein in Cafés zu gehen. Ob sie einfach kehrtmachen und etwas später wieder kommen sollte, um nach Alberto Ausschau zu halten?
Sie ging zum Marmortresen und bat um eine Tasse Tee mit Zitrone. Dann nahm sie die Teetasse und setzte sich an einen freien Tisch. Sie starrte die Eingangstür an. Viele Menschen kamen und gingen, aber Sofie registrierte nur, dass Alberto nicht kam.
Wenn sie wenigstens eine Zeitung hätte!
Schließlich sah sie sich einfach ein bisschen um. Ein paarmal wurden ihre Blicke auch erwidert und für einen Moment kam Sofie sich vor wie eine junge Dame. Sie war zwar erst fünfzehn, konnte aber sicher für siebzehn durchgehen – oder wenigstens für sechzehneinhalb.
Was dachten wohl alle Menschen hier im Café über ihr Leben? Sofie fand, sie sahen aus, als seien sie einfach nur da und hätten sich zur Abwechslung mal ins Café gesetzt. Sie redeten drauflos und gestikulierten eifrig, aber es hatte nicht den Anschein, als redeten sie über etwas Wichtiges.
Sofie musste an Kierkegaard denken, der gesagt hatte, das unverbindliche ›Geschwätz‹ sei das wichtigste Kennzeichen der Menge. Ob all diese Menschen im ästhetischen Stadium lebten? Oder gab es auch etwas, das für sie existenziell wichtig war?
In einem seiner ersten Briefe hatte Alberto geschrieben, dass Kinder und Philosophen verwandt seien. Wieder überlegte sich Sofie, dass sie sich davor fürchtete, erwachsen zu werden. Und wenn sie nun auch tief in das Fell des weißen Kaninchens kriechen würde, das aus dem schwarzen Zylinder des Universums gezogen wird?
Während sie über all das nachdachte, schaute Sofie immer wieder zur Eingangstür. Und dann kam Alberto plötzlich von der Straße hereingetrottet. Selbst mitten im Sommer trug er die schwarze Baskenmütze. Ansonsten trug er einen halblangen Mantel mit grauem Fischgrätmuster. Er sah sie sofort und kam zu ihr herüber. Sofie dachte, dass ein Rendezvous mit ihm in aller Öffentlichkeit etwas ganz Neues war.
»Es ist schon Viertel nach zwölf, du Sumpfnudel!«
»Das nennt man die akademische Viertelstunde. Kann ich die junge Dame zum Essen einladen?«
Er setzte sich und blickte ihr in
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