Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
erstickt.«
    »Das war wirklich eine traurige Geschichte.«
    »Für einen Künstler kann es also wichtig sein, ›sich gehen zu lassen‹. Die Surrealisten versuchten, das auszunutzen und sich in einen Zustand zu versetzen, in dem alles von selber kam. Sie saßen vor einem weißen Bogen und fingen einfach an zu schreiben, ohne sich zu überlegen, was sie schrieben. Das nannten sie automatisches Schreiben . Der Ausdruck stammt eigentlich aus dem Spiritismus, wo ein ›Medium‹ glaubt, ein Verstorbener führe ihm die Feder. – Aber ich denke, wir reden morgen mehr über diese Fragen.«
    »Gerne.«
    »Auch der surrealistische Künstler ist in gewisser Hinsicht ein Medium. Er ist ein Medium für sein eigenes Unterbewusstsein. Aber vielleicht liegt auch in jedem kreativen Prozess ein Element von etwas Unbewusstem. Denn was ist es eigentlich, was wir als ›Kreativität‹ bezeichnen?«
    »Bedeutet ›kreativ sein‹ nicht, dass man etwas Neues und Einzigartiges schafft?«
    »So ungefähr. Und das geschieht durch ein feines Zusammenspiel von Phantasie und Vernunft. Viel zu oft erstickt die Vernunft die Phantasie. Und das ist schlimm, denn ohne Phantasie kann nichts wirklich Neues entstehen. Ich sehe die Phantasie als darwinistisches System.«
    »Tut mir Leid, aber das hab ich jetzt nicht kapiert.«
    »Der Darwinismus zeigt doch, dass in der Natur ein Mutant nach dem anderen entsteht. Aber nur einige wenige dieser Mutanten kann die Natur brauchen. Nur einige wenige haben eine Lebenschance.«
    »Ja?«
    »So ist es auch, wenn wir denken, wenn wir inspiriert sind und viele neue Ideen haben. Ein ›Gedankenmutant‹ nach dem anderen taucht in unserem Bewusstsein auf. Jedenfalls wenn wir uns keine allzu strenge Zensur auferlegen. Aber nur für einige von diesen Gedanken haben wir wirklich Verwendung. Hier kommt die Vernunft zu ihrem Recht. Denn auch sie hat natürlich eine wichtige Funktion. Wenn der Fang des Tages auf dem Tisch liegt, dürfen wir das Sortieren nicht vergessen.«
    »Das ist ein toller Vergleich.«
    »Stell dir vor, alles, was uns so ›einfällt‹, also jeder Gedankenblitz, dürfte unsere Lippen passieren! Oder den Notizblock oder die Schreibtischschublade verlassen. Die Welt würde bald in zufälligen Einfällen ertrinken. Und es gäbe keine ›Auslese‹, Sofie.«
    »Und die Vernunft liest von den vielen Einfällen die besten aus?«
    »Ja, oder glaubst du nicht? Vielleicht schafft die Phantasie etwas Neues, aber nicht die Phantasie trifft die eigentliche Auswahl. Nicht die Phantasie ›komponiert‹. Eine Komposition – und jedes Kunstwerk ist eine Komposition – entsteht in einem erstaunlichen Zusammenspiel zwischen Phantasie und Vernunft, oder zwischen Fühlen und Denken. In einem schöpferischen Prozess liegt immer ein Element von etwas Zufälligem. In einer Phase kann es wichtig sein, solche zufälligen Einfälle nicht auszusperren. Die Schafe müssen ja auch erst einmal losgelassen werden, ehe man sie weiden kann.«
    Nun schwieg Alberto eine Weile und starrte aus dem Fenster. Sofie folgte seinem Blick und sah ein wildes Gewusel unten am Ufer des kleinen Sees. Es war eine ganze Orgie von Disneyfiguren in allen Farben.
    »Da ist Goofy«, sagte sie. »Und da sind Donald und die Neffen ... und Daisy ... und Onkel Dagobert. Siehst du A-Hörnchen und B-Hörnchen? Hörst du nicht, was ich sage, Alberto? Da unten sind auch Mickymaus und Daniel Düsentrieb!«
    Er wandte sich ihr zu:
    »Ja, das ist traurig, mein Kind.«
    »Wie meinst du das?«
    »Hier sitzen wir und werden zu wehrlosen Opfern, wenn der Major seine Schafe loslässt. Aber das ist natürlich mein Fehler. Schließlich habe ich vom freien Spiel der Phantasie angefangen.«
    »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen.«
    »Ich wollte eigentlich sagen, dass die Phantasie auch für uns Philosophen wichtig ist. Um etwas Neues zu denken, müssen auch wir den Mut haben, uns gehen zu lassen. Aber ich habe mich wohl ein bisschen vage ausgedrückt.«
    »Nimm’s nicht so schwer.«
    »Ich wollte etwas über die Bedeutung des stillen Nachdenkens sagen. Und dann kommt er uns mit diesen bunten Narrenpossen. Er sollte sich schämen!«
    »Bist du jetzt ironisch?«
    » Er ist ironisch, nicht ich. Aber ich habe einen Trost – und der ist der eigentliche Grundstein meines Plans.«
    »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
    »Wir haben über Träume gesprochen. Und das hat doch auch einen Hauch von Ironie! Denn was sind wir anderes als Traumbilder des Majors?«
    »Oh

Weitere Kostenlose Bücher