Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
die Augen. Sofie zuckte mit den Schultern.
»Mir egal. Ein Brötchen vielleicht.«
Alberto ging zum Tresen. Gleich darauf kam er mit einer Tasse Kaffee und zwei riesigen Baguettes mit Käse und Schinken zurück.
»War das teuer?«
»Eine Bagatelle, Sofie.«
»Hast du nicht wenigstens eine Entschuldigung dafür, dass du so spät kommst?«
»Nein, habe ich nicht, denn ich bin absichtlich zu spät gekommen. Ich werde dir auch gleich erklären, warum.«
Er biss mehrmals herzhaft in sein Baguette, dann sagte er:
»Wir werden jetzt über unser eigenes Jahrhundert sprechen.«
»Ist darin etwas von philosophischer Bedeutung passiert?«
»Und wie! So viel, dass es nach allen Seiten auseinander strebt. Zuerst werde ich dir etwas über den Existenzialismus erzählen. So nennen wir mit einem Sammelbegriff mehrere philosophische Strömungen, die von der existenziellen Situation des Menschen ihren Ausgang nehmen. Wir sprechen auch von der Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts. Einige Existenzphilosophen – oder Existenzialisten – knüpften an Kierkegaard an, andere an Hegel und Marx.«
»Aha.«
»Ein weiterer Philosoph, der für das 20. Jahrhundert wichtig wurde, war der Deutsche Friedrich Nietzsche , der von 1844 bis 1900 lebte. Auch Nietzsche reagierte auf Hegels Philosophie und dem daraus hervorgegangenen deutschen ›Historismus‹. Hegel und seinen Nachfolgern attestierte Nietzsche ein blutarmes Interesse an der Geschichte und konfrontierte es mit dem Leben selber. Bekannt ist seine Forderung nach der ›Umwertung aller Werte‹ – der christlichen Moral vor allem, die er ›Sklavenmoral‹ nannte –, damit die Lebensentfaltung der Starken nicht länger von den Schwachen gehemmt werden könnte. Für Nietzsche hatten sich das Christentum und die philosophische Tradition von der Welt ab- und dem ›Himmel‹ oder der ›Welt der Ideen‹ zugewandt. Sie gälten nun als die ›eigentliche Welt‹ und seien doch in Wirklichkeit nur Schein. ›Bleibt der Erde treu‹, sagte er, ›und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden!‹«
»Naja ...«
»Ein Philosoph, der sowohl von Kierkegaard als auch von Nietzsche geprägt war, war der deutsche Existenzphilosoph Martin Heidegger , den wir aber überspringen, weil wir uns auf den französischen Existenzialisten Jean-Paul Sartre konzentrieren wollen. Er lebte von 1905 bis 1980 und war der tonangebende Existenzialist überhaupt – zumindest für das breite Publikum. Er entwickelte seine Philosophie gleich nach dem Krieg in den vierziger Jahren. Später schloss er sich der marxistischen Bewegung in Frankreich an, trat aber nie in eine Partei ein.«
»Treffen wir uns deshalb in einem französischen Café?«
»Es ist jedenfalls kein purer Zufall, nein. Sartre selber war übrigens auch ein eifriger Café-Besucher. In einem Café wie diesem hat er auch seine Lebensgefährtin Simone de Beauvoir kennen gelernt. Auch sie war Existenzphilosophin.«
»Endlich eine Philosophin?«
»Genau.«
»Ich finde es befreiend, dass die Menschheit endlich anfängt, zivilisiert zu werden.«
»Aber unsere eigene Zeit ist auch eine Zeit mit vielen neuen Sorgen.«
»Du wolltest vom Existenzialismus erzählen.«
»Sartre hat gesagt: ›Existenzialismus ist Humanismus.‹ Er meinte damit, dass der Existenzialismus ausschließlich vom Menschen selber ausgeht. Wir können vielleicht hinzufügen, dass Sartres Humanismus die Situation des Menschen anders und düsterer sieht als der Humanismus, der uns in der Renaissance begegnet ist.«
»Und warum?«
»Kierkegaard und einzelne Existenzphilosophen unseres Jahrhunderts waren Christen. Sartre dagegen vertritt das, was wir als einen atheistischen Existenzialismus bezeichnen könnten. Seine Philosophie können wir als gnadenlose Analyse der menschlichen Situation betrachten, wenn ›Gott tot ist‹. Der berühmte Satz ›Gott ist tot‹ stammt von Nietzsche.«
»Erzähl weiter!«
»Der eigentliche Schlüsselbegriff in Sartres Philosophie ist, wie bei Kierkegaard, das Wort Existenz . Existenz bedeutet hier nicht einfach Dasein. Auch Pflanzen und Tiere sind ja da , auch sie gibt es, aber sie bleiben von der Frage verschont, was das bedeutet . Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich seiner Existenz bewusst ist. Sartre sagt, dass physische Dinge nur ›an sich‹ sind, während der Mensch auch ›für sich‹ ist. Ein Mensch zu sein ist also etwas anderes, als ein Ding zu sein.«
»Dem kann ich
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