Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
gemacht worden. Nur der Mann erscheine in dieser Kultur als Subjekt. Die Frau dagegen werde zum Objekt des Mannes gemacht. Und auf diese Weise werde ihr die Verantwortung für ihr eigenes Leben genommen.«
»Ja?«
»Diese Verantwortung, sagt Simone de Beauvoir, muss die Frau sich zurückerobern. Sie muss sich selber zurückgewinnen und darf ihre Identität nicht einfach an die ihres Mannes binden. Denn nicht nur der Mann unterdrückt die Frau. Die Frau unterdrückt sich auch selber, wenn sie die Verantwortung für ihr Leben nicht übernimmt.«
»Wir sind genauso frei und selbständig, wie wir selber beschließen?«
»Genau. Der Existenzialismus insgesamt hat dann von den vierziger Jahren an die europäische Literatur geprägt, vor allem auch das Theater. Sartre selber hat Romane und Theaterstücke geschrieben. Andere wichtige Autoren sind der Franzose Albert Camus , der Ire Samuel Beckett , der Rumäne Eugène Ionesco und der Pole Witold Gombrowicz . Charakteristisch für sie – und viele andere moderne Autoren – ist die Darstellung des Absurden . Du hast bestimmt schon vom absurden Theater gehört.«
»Ja.«
»Und du verstehst, was das Wort ›absurd‹ bedeutet?«
»Dass etwas sinnlos oder vernunftwidrig ist?«
»Genau. Dem ›absurden Theater‹ – oder ›Theater des Absurden‹ – ging es darum, die Sinnlosigkeit des Daseins zu zeigen. Man hoffte, das Publikum werde dann nicht nur zuschauen, sondern auch reagieren. Es war also nicht das Ziel, die Sinnlosigkeit etwa zu verherrlichen. Im Gegenteil: Durch die Darstellung und Entlarvung des Absurden – zum Beispiel in ganz alltäglichen Ereignissen – sollte das Publikum gezwungen werden, über die Möglichkeit eines echteren und eigentlicheren Daseins nachzudenken.«
»Erzähl weiter.«
»Oft geht es im ›absurden Theater‹ um ganz triviale Situationen. Der Mensch wird genauso dargestellt, wie er ist. Aber wenn du im Theater ganz genau das auf die Bühne bringst, was an einem ganz normalen Morgen in einer ganz normalen Wohnung im Badezimmer passiert – ja, dann lacht das Publikum. Dieses Lachen können wir als Gegenwehr dagegen deuten, dass es sich selber auf der Bühne bloßgestellt sieht.«
»Ich verstehe.«
»Das ›absurde Theater‹ kann aber auch surrealistische Züge haben. Oft werden darin die Menschen in die unwahrscheinlichsten, traumähnlichen Situationen verwickelt. Wenn sie das ohne irgendein Anzeichen von Überraschung hinnehmen, wenn sie darauf gar nicht reagieren, muss das Publikum seinerseits auf diesen Mangel an Erstaunen reagieren. Das gilt übrigens auch für Charlie Chaplins Stummfilme. Das Komische an diesen Filmen ist oft Chaplins fehlende Verwunderung über seine vielen absurden Erlebnisse. Man lacht darüber und kommt doch auch unweigerlich ins Grübeln, wie es um die eigene Verwunderung und die eigenen Reaktionen bestellt ist.«
»Manchmal ist es seltsam zu sehen, was Leute sich alles gefallen lassen, ohne zu reagieren.«
»Manchmal ist es vielleicht sogar richtig zu denken, ich muss weg hier – auch, wenn ich noch nicht weiß, wohin.«
»Wenn das Haus brennt, muss man ja auch machen, dass man rauskommt, selbst wenn man noch keine andere Bleibe hat.«
»Ja, nicht wahr? Möchtest du noch eine Tasse Tee? Oder vielleicht eine Cola?«
»Na gut. Aber ich finde immer noch, du bist eine Sumpfnudel, weil du zu spät gekommen bist.«
»Damit kann ich leben.«
Alberto war bald mit einer Tasse Espresso und einer Cola wieder da. Inzwischen war Sofie aufgegangen, dass es ihr im Café gefiel. Sie war auch nicht mehr so sehr davon überzeugt, dass die Gespräche an den anderen Tischen alle öde waren.
Alberto stellte die Colaflasche mit einem Knall auf den Tisch. Ein paar andere Gäste blickten auf.
»Und damit sind wir am Ende unseres Weges angekommen«, sagte er.
»Die Philosophie hört mit Sartre und dem Existenzialismus auf?«
»Nein, das zu sagen wäre übertrieben. Die Existenzphilosophie hatte für viele Menschen auf der ganzen Welt große Bedeutung. Wie wir gesehen haben, reichen ihre Wurzeln zurück zu Kierkegaard und sogar zu Sokrates. Ähnlich haben auch andere philosophische Strömungen der Vergangenheit in unserem Jahrhundert noch einmal eine Blütezeit und eine Erneuerung erlebt.«
»Kannst du Beispiele nennen?«
»Der Neothomismus greift Gedanken wieder auf, die in die Tradition des Thomas von Aquin gehören. Die so genannte Analytische Philosophie oder der Logische Empirismus greift auf Hume und den
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