Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Gedanken und Erlebnisse haben, als uns bewusst ist.«
»Ja?«
»Manchmal reden Leute ja auch im Schlaf oder sie schlafwandeln. Das können wir als eine Art ›seelischen Automatismus‹ bezeichnen. Auch unter Hypnose können Menschen ›von selber‹ Dinge sagen und tun. Und du erinnerst dich an die Surrealisten, die versuchten, ›automatisch‹ zu schreiben. Dadurch versuchten sie sich zu ›Medien‹ ihres eigenen Unterbewusstseins zu machen.«
»Auch das weiß ich noch.«
»In regelmäßigen Abständen tauchen in unserem Jahrhundert Nachrichten auf, ein Mensch, ein ›Medium‹, könne mit einem Verstorbenen Kontakt aufnehmen. Das ›Medium‹ empfängt angeblich eine Botschaft von einem Menschen, der vor vielen Jahrhunderten gelebt hat. Entweder spricht dann das Medium mit der Stimme des Verstorbenen, oder es schreibt ›automatisch‹ auf, was er sagt. Das betrachtet man dann wahlweise als Beweis dafür, dass es ein Leben nach dem Tode gibt, oder dafür, dass ein Mensch viele Leben lebt.«
»Ich verstehe.«
»Ich will nicht alle diese Medien als Schwindler bezeichnen. Einige von ihnen handeln wahrscheinlich in gutem Glauben. Sie können sogar ›Medien‹ sein – aber nur ihres eigenen Unterbewusstseins. Es gibt mehrere Beispiele, wo man Medien untersucht hat, die in einem Zustand der Trance Kenntnisse und Fähigkeiten an den Tag legten, von denen weder sie noch andere erklären konnten, woher sie sie hatten. Eine Frau, die kein Hebräisch konnte, sprach zum Beispiel plötzlich in dieser Sprache. Da musste sie doch schon einmal gelebt haben! Oder sie hatte wirklich Kontakt zum Hebräisch sprechenden Geist eines Verstorbenen! – Oder nicht, Sofie?«
»Was glaubst du?«
»Es stellte sich heraus, dass sie als kleines Kind ein jüdisches Kindermädchen gehabt hatte.«
»Ach ...«
»Bist du jetzt enttäuscht? Dabei ist es doch phantastisch genug, wie gut es einzelnen Menschen gelingt, frühere Erfahrungen in ihrem Unterbewusstsein abzuspeichern.«
»Ich verstehe, was du meinst.«
»Auch viele ganz alltägliche Merkwürdigkeiten lassen sich durch Freuds Lehre vom Unbewussten erklären. Wenn ich plötzlich von einem Freund angerufen werde, den ich viele Jahre lang nicht gesehen habe, während ich selber auch gerade nach seiner Telefonnummer suche ...«
»Mir läuft es kalt den Rücken runter!«
»Der Grund für diesen scheinbaren Zufall kann zum Beispiel sein, dass wir beide ein altes Lied im Radio gehört haben, ein Lied, das wir hörten, als wir uns das letzte Mal trafen. Nur ist uns dieser verborgene Zusammenhang eben nicht bewusst.«
»Entweder Humbug ... oder der Gewinnerlos-Effekt ... oder auch das Unbewusste?«
»Es ist jedenfalls gesünder, sich solchen Bücherregalen mit einer gewissen Skepsis zu nähern. Das ist nicht zuletzt für einen Philosophen wichtig. In England haben die Skeptiker einen eigenen Verein. Vor vielen Jahren haben sie eine hohe Geldsumme für den Ersten ausgesetzt, der ihnen auch nur das allerwinzigste Beispiel für ein übernatürliches Ereignis liefern könnte. Es brauchte kein großes Wunder zu sein; ein ganz kleiner Fall von Gedankenübertragung hätte schon ausgereicht. Aber bisher hat sich keiner gemeldet.«
»Ich verstehe.«
»Eine ganz andere Sache ist, dass es vieles gibt, was wir Menschen nicht verstehen. Vielleicht kennen wir auch noch nicht alle Naturgesetze. Im letzten Jahrhundert hielten viele Phänomene wie den Magnetismus oder die Elektrizität für eine Art Zauberei. Ich glaube, meine Urgroßmutter würde große Augen machen, wenn ich ihr vom Fernsehen oder von Computern erzählen könnte.«
»Aber an irgendetwas Übernatürliches glaubst du nicht?«
»Darüber haben wir schon gesprochen. Allein der Ausdruck ›übernatürlich‹ kommt mir immer ein bisschen komisch vor. Nein, ich glaube wohl, dass es nur eine Natur gibt. Aber die ist zum Ausgleich höchst erstaunlich.«
»Das Übernatürliche gibt es also nur in den Büchern, die du mir gezeigt hast?«
»Alle echten Philosophen müssen die Augen offen halten. Auch wenn wir niemals eine weiße Krähe gesehen haben, dürfen wir nicht aufhören, danach zu suchen. Und eines Tages könnte sogar ein Skeptiker wie ich ein Phänomen akzeptieren müssen, an das ich vorher nicht glauben wollte. Wenn ich diese Möglichkeit nicht einräumte, wäre ich ein Dogmatiker. Dann wäre ich kein echter Philosoph.«
Eine Weile saßen Alberto und Sofie nun schweigend auf der Bank. Die Tauben reckten die Hälse und
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