Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
gurrten; ab und zu jagte ein Fahrrad oder eine plötzliche Bewegung sie hoch.
»Ich muss jetzt nach Hause und das Fest vorbereiten«, sagte Sofie schließlich.
»Aber ehe wir uns trennen, werde ich dir eine weiße Krähe zeigen. Die ist nämlich näher, als wir glauben.«
Alberto stand von der Bank auf und gab ihr ein Zeichen, noch einmal mit ihm in den Buchladen zu gehen.
Diesmal ließen sie alle Bücher über übernatürliche Phänomene links liegen. Alberto blieb vor einem sehr kleinen Regal ganz hinten stehen. Über dem Regal hing ein winziges Schild. »PHILOSOPHIE« stand darauf.
Alberto zeigte auf ein bestimmtes Buch und Sofie fuhr zusammen, als sie den Titel las: »SOFIES WELT«.
»Soll ich dir das kaufen?«
»Ich weiß nicht, ob ich mich traue.«
Aber bald darauf ging sie nach Hause und hielt in der einen Hand das Buch und in der anderen die Tüte mit den Sachen, die sie für das Gartenfest gekauft hatte.
Das Gartenfest
... eine weiße Krähe ...
Hilde saß wie angewachsen auf dem Bett. Sie spürte, dass ihre Arme steif waren, und dass die Hände, die den großen Ordner hielten, zitterten.
Es war fast elf. Sie las nun schon seit über zwei Stunden. Ab und zu hatte sie vom Ordner hochgeschaut und laut gelacht; sie hatte sich aber auch abgewandt und gestöhnt. Gut, dass sie allein zu Hause war.
Sie hatte in den letzten beiden Stunden vielleicht Sachen gelesen! Es fing damit an, dass Sofie auf dem Heimweg von der Majorshütte versuchen musste, die Aufmerksamkeit des Majors zu erregen. Am Ende war sie auf einen Baum geklettert und die Gans Martin war als rettender Engel aus dem Libanon erschienen.
Obwohl es lange, lange her war, hatte Hilde nie vergessen, dass ihr Vater ihr ›Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden‹ vorgelesen hatte. Danach hatten sie noch viele Jahre eine Geheimsprache gehabt, die mit dem Buch zu tun hatte. Und nun brachte er auch die alte Gans wieder mit ins Spiel.
Und Sofie hatte als einsame Café-Besucherin debütiert. Hilde hatte sich besonders dafür interessiert, was Alberto über Sartre und den Existenzialismus erzählt hatte. Er hatte sie fast überzeugen können – aber das war ihm in diesem Ordner schon oft gelungen.
Vor ungefähr einem Jahr hatte Hilde sich ein Buch über Astrologie gekauft. Ein andermal war sie mit TAROT-Karten nach Hause gekommen. Und beim dritten Mal mit einem Buch über Spiritismus. Jedes Mal hatte ihr Vater ein paar mahnende Bemerkungen über »Vernunft« und »Aberglauben« gemacht, aber erst jetzt war die Stunde der Rache gekommen. Er hatte zurückgeschlagen. Es war klar, dass seine Tochter nicht heranwachsen sollte, ohne gründlich vor diesem Humbug gewarnt worden zu sein. Sicherheitshalber hatte er ihr auch noch aus einem Fernseher in einem Elektroladen heraus gewunken. Das hätte er sich wirklich schenken können ...
Worüber sie sich aber am allermeisten wunderte, war das dunkelhaarige Mädchen.
Sofie, Sofie – wer bist du? Woher kommst du? Warum hast du in mein Leben eingegriffen?
Am Ende hatte Sofie ein Buch über sich selber bekommen. War das dasselbe Buch, das Hilde jetzt in Händen hielt? Aber das war doch nur ein Ordner. Egal: Wie war es möglich, in einem Buch über einen selber ein Buch über einen selber zu finden? Was würde passieren, wenn Sofie nun in diesem Buch las? Was würde jetzt passieren? Was könnte jetzt alles passieren?
Hilde fühlte mit den Fingern nach, es waren nur noch wenige Seiten übrig.
Als Sofie aus der Stadt nach Hause fahren wollte, traf sie im Bus ihre Mutter. Verflixt! Was würde sie sagen, wenn sie das Buch in Sofies Händen entdeckte?
Sofie versuchte, es zu den Luftschlangen und den Ballons, die sie für das Fest gekauft hatte, in die Tüte zu stecken, aber das schaffte sie nicht.
»Hallo, Sofie! Wir zwei im selben Bus? Das ist aber nett.«
»Hallo ...«
»Hast du dir ein Buch gekauft?«
»Nein, nicht direkt.«
»›Sofies Welt‹ – das ist ja witzig.«
Sofie begriff, dass sie mit einer Lüge kaum durchkommen würde.
»Das hat mir Alberto geschenkt.«
»Ja, das kann ich mir denken. Wie gesagt – ich freue mich darauf, ihn kennen zu lernen. Darf ich mal sehen?«
»Kannst du nicht wenigstens bis zu Hause warten? Das ist mein Buch, Mama.«
»Ja, sicher ist das dein Buch. Ich wollte doch bloß mal einen Blick auf die erste Seite werfen ... Du meine Güte! ›Sofie Amundsen war auf dem Heimweg von der Schule. Das erste Stück war sie mit Jorunn zusammen gegangen. Sie hatten
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