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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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des Menschen und der Gesellschaft erzählen.
    Wenn du diese Bedingungen akzeptierst, dann brauchen wir nur noch die Ärmel hochzukrempeln und loszulegen.
Keine angeborenen Ideen
    Wie die Philosophen vor ihm, so wollte auch Platon mitten in allen Veränderungen etwas Ewiges und Unveränderliches finden. Also fand er die vollkommenen Ideen, die über die Sinnenwelt erhaben sind. Platon hielt diese Ideen außerdem für wirklicher als alle Phänomene in der Natur. Zuerst kam die Idee »Pferd« – dann kamen alle Pferde der Sinnenwelt wie Schattenbilder an einer Höhlenwand angetrabt. Die Idee »Huhn« kam also vor dem Huhn und dem Ei.
    Aristoteles glaubte, Platon habe alles auf den Kopf gestellt. Er stimmte seinem Lehrer darin zu, dass das einzelne Pferd »fließt«, und dass kein Pferd ewig lebt. Er stimmte auch darin zu, dass die Pferdeform an sich ewig und unveränderlich ist. Aber die »Idee« Pferd ist für ihn nur ein Begriff, den wir Menschen uns gemacht haben, nachdem wir eine bestimmte Anzahl Pferde gesehen haben. Die »Idee« oder die »Form« Pferd existiert also nicht vor aller Erfahrung. Die »Form« Pferd besteht für Aristoteles aus den Eigenschaften des Pferdes – wir würden von der Spezies Pferd sprechen.
    Ich präzisiere: Mit der »Form« Pferd meint Aristoteles das, was allen Pferden gemeinsam ist. Und hier stimmt das Bild mit der Pfefferkuchenform nicht mehr, denn Pfefferkuchenformen existieren ja ganz unabhängig vom einzelnen Pfefferkuchen. Aristoteles glaubte nicht, dass solche Formen sozusagen in ihrem eigenen Regalfach in der Natur existieren. Für Aristoteles liegen die »Formen« als die besonderen Eigenschaften der Dinge in den Dingen selber.
    Aristoteles stimmt Platon auch darin nicht zu, dass die Idee »Huhn« vor dem Huhn kommt. Das, was Aristoteles die »Form« Huhn nennt, liegt in Form der speziellen Hühnereigenschaften in jedem Huhn – zum Beispiel, dass es Eier legt. So sind das Huhn an sich und die »Form« Huhn ebenso untrennbar wie Seele und Körper.
    Damit haben wir im Grunde schon das meiste über Aristoteles’ Kritik von Platons Ideenlehre gesagt. Aber du musst dir notieren, dass wir von einer dramatischen Wendung im Denken sprechen. Für Platon ist es der höchste Grad von Wirklichkeit, dass wir mit der Vernunft denken . Für Aristoteles ist es ebenso einleuchtend, dass der höchste Grad der Wirklichkeit darin liegt, dass wir mit den Sinnen wahrnehmen oder empfinden . Platon hält das, was wir um uns herum in der Natur sehen, lediglich für Reflexe von etwas, das in der Welt der Ideen existiert – und damit auch in der Seele des Menschen. Aristoteles meinte das genaue Gegenteil: Was in der Seele des Menschen liegt, sind nur Reflexe der Gegenstände der Natur. Aristoteles zufolge steckt Platon in einem mythischen Weltbild fest, das die Vorstellungen der Menschen mit der wirklichen Welt verwechselt.
    Aristoteles wies darauf hin, dass nichts im Bewusstsein existiert, was nicht zuerst in den Sinnen existiert hat. Platon hätte sagen können, dass es nichts in der Natur gibt, was nicht zuerst in der Ideenwelt existiert hat. Auf diese Weise habe Platon die Anzahl der Dinge verdoppelt, meinte Aristoteles. Er hatte das einzelne Pferd durch den Hinweis auf die Idee »Pferd« erklärt. Aber was ist das für eine Erklärung, Sofie? Woher kommt die »Idee Pferd«, meine ich. Existiert vielleicht auch noch ein drittes Pferd – von dem die Idee Pferd wieder nur ein Abbild ist?
    Aristoteles meinte, dass alles, was wir in uns an Gedanken und Ideen haben, durch das, was wir gesehen und gehört haben, in unser Bewusstsein gekommen ist. Aber wir haben auch eine angeborene Vernunft. Wir haben eine angeborene Fähigkeit, alle Sinneseindrücke zu verschiedenen Gruppen und Klassen zu ordnen. Auf diese Weise entstehen Begriffe wie »Stein«, »Pflanze«, »Tier« und »Mensch«. So entstehen die Begriffe »Pferd«, »Hummer« und »Kanarienvogel«.
    Aristoteles leugnete nicht, dass der Mensch eine angeborene Vernunft hat. Ganz im Gegenteil: Aristoteles zufolge ist gerade die Vernunft das wichtigste Kennzeichen des Menschen. Aber unsere Vernunft ist ganz »leer«, solange wir nichts empfinden. Ein Mensch hat also keine angeborenen »Ideen«.
Die Formen sind die Eigenschaften der Dinge
    Nachdem er sein Verhältnis zu Platons Ideenlehre geklärt hat, stellt Aristoteles fest, dass die Wirklichkeit aus verschiedenen Einzeldingen besteht, die eine Einheit aus Form und Stoff darstellen. Der »Stoff«

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