Sog des Grauens
kläglich dünnes Feuer kam von unten herauf. Vielleicht waren nur noch wenige da, die schießen konnten, oder diejenigen, die noch lebten, waren schon apathisch.
Fünf Minuten, die wie eine Ewigkeit wirkten, dauerte der Aufruhr, und dann brach die dünne Linie der Angreifer wie auf ein Kommando plötzlich zusammen und ebbte zurück. Sie hinterließen einen Saum von Leichen, der den höchsten Stand des Angriffs markierte, knappe hundert Meter vor dem Scheitel des Höhenrückens. Während sie in Panik zurückliefen, starben immer noch viele, von Gewehrkugeln getroffen, von den mörderischen Maschinengewehren durchgesägt und von Granaten in Stücke gerissen. Als wieder Ruhe herrschte, war das Gelände mit den traurigen Resten dessen übersät, was einmal Menschen gewesen waren.
»O mein Gott!« hauchte Dawson. Sein Gesicht sah blaß und krank aus, und es schauderte ihn. »Die müssen ein Viertel ihrer Leute verloren haben.«
Causton rührte sich. »Serrurier muß das Kommando übernommen haben«, sagte er leise. »Rocambeau hätte nie einen so blödsinnigen Frontalangriff versucht – nicht in diesem Stadium.« Er drehte sich um und sah nach der Granatwerferbedienung hinter ihnen. »Diese Männer sind am Ende ihrer Möglichkeiten – sie haben keine Munition mehr. Ich weiß nicht, ob wir einen weiteren Angriff überstehen.«
»Es wird keine weiteren Angriffe geben«, sagte Wyatt mit ruhiger Gewißheit. »Soweit es das Kämpfen betrifft, ist dieser Krieg zu Ende.« Er blickte den Hang hinab auf die wirren Leichenberge. »Ich wünschte, ich hätte das eine halbe Stunde früher sagen können, aber es bleibt sich schließlich gleich. Sie werden jetzt alle umkommen.« Er zog sich vom Kamm zurück und ging zu dem Deckungsloch.
Unten in St. Pierre würden in den nächsten Stunden Tausende von Männern sterben, weil er Favel von dem ankommenden Hurrikan erzählt hatte, und die Schuld lastete schwer auf ihm. Aber er wußte nicht, was er anders hätte tun sollen.
Und da war noch etwas anderes. Er konnte sich nicht einmal um die Sicherheit eines Mädchens kümmern. Er wußte nicht, wo Julie war – ob sie tot oder lebendig oder von Rocambeaus Leuten gefangengenommen war. Er hatte sie bei seinem Aufgehen in der Beschäftigung mit dem Hurrikan nicht richtig gesehen, aber jetzt sah er sie ganz, und er spürte Tränen über seine Wangen rinnen – nicht Tränen des Selbstmitleids, nicht einmal Tränen um Julie, sondern Tränen der blinden Wut über seine Dummheit und Ohnmacht. Wyatt war sehr jung.
Causton hörte das Feuergefecht, das links von ihnen noch anhielt. »Ich hoffe, er hat recht. Als Favel vor einem ähnlichen Problem stand, umging er die Stellung.« Er bewegte den Kopf in die Richtung, aus der der ferne Kampfeslärm kam. »Wenn Serrurier dort drüben durchbricht, kommt er den Kamm entlang und rollt diese Rebellen auf wie einen Teppich.«
»Ich glaube aber, Wyatt behält recht«, sagte Dawson. »Sehen Sie einmal auf die See hinaus!«
Die Stadt war in einen wogenden grauen Nebel gehüllt, aus dem die Brände rötlich herausleuchteten, und der Horizont war schwarz. Niedrige Wolkenfetzen trieben wie Girlanden über sie hinweg. Der Wind hatte sich sehr verstärkt und heulte schon jetzt höllisch. Blitze zuckten draußen über der See, und ein einzelner Regentropfen fiel auf Caustons Hand. Er sah nach oben. »Es sieht wirklich etwas häßlich aus. Gott helfe den Seeleuten in einer solchen Nacht!«
»Gott helfe Serrurier und seiner Armee!« sagte Dawson und starrte hinunter nach St. Pierre.
Causton blickte zurück und sah Wyatt am Rande des Deckungsloches sitzen. »Er nimmt es schwer – er glaubt, versagt zu haben. Er hat noch nicht begriffen, daß es keine Vollkommenheit gibt, der verdammte junge Tor. Aber er wird noch lernen, daß das Leben ein Kuhhandel ist – ein bißchen Böses für eine Menge Gutes.«
»Ich hoffe, daß er es nie lernt«, sagte Dawson leise. »Ich lernte diese Lektion, und sie ist mir nicht gut bekommen.« Er blickte Causton in die Augen, und nach einer Weile wandte Causton den Blick ab.
***
Rawsthorne war kein junger Mann mehr, und zwei Tage Anstrengungen und Leben im Freien waren ihm anzumerken. Er konnte in dem bergigen Gelände nicht schneller vorankommen – seine Lungen hatten längst die Dehnbarkeit verloren, und seine Beine die Kraft. Sein Atem ging keuchend, während er versuchte, ein gutes Tempo einzuhalten, und seine Oberschenkelmuskeln schmerzten schrecklich.
Aber er war
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