Sog des Grauens
Sergeanten haben in allen Armeen die gleiche metallene Schreistimme, es hörte sich an, als ob sich eine Armee auf dem Platz versammelte.
Er stieß den Hocker zum Fenster und stieg darauf, aber der Winkel stimmte nicht, und er konnte gar nicht bis auf den Grund sehen, nur die Fassaden der Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes sah er. Er stand lange da und versuchte, die wirren Geräusche dort unten zu verstehen, gab es aber schließlich auf. Er wollte eben von dem Hocker heruntersteigen, als er das plötzliche Losdonnern von Geschützen hörte, und zwar so nahe, daß die heiße Luft zu zittern schien.
Er stand auf Zehenspitzen und bemühte sich verzweifelt zu sehen, was vor sich ging. Er sah einen dunkelroten Blitz auf dem Dach des genau gegenüberliegenden Hauses. Es gab einen Schlag, und die Vorderwand des Gebäudes beulte sich vor seinen erschrockenen Blicken ein und schien im Zeitlupentempo in einer wirbelnden Staubwolke zusammenzusacken.
Dann traf ihn die Druckwelle der Explosion, und er wurde in einem Hagel von Glassplittern durch die Zelle geschleudert und landete hart auf dem Fußboden. Das letzte, was er hörte, bevor er das Bewußtsein verlor, war der Knall, mit dem sein Kopf auf den Holzdielen aufschlug.
4
Das Trommelfeuer schreckte Causton aus einem tiefen Schlaf auf. Er fuhr heftig zusammen und riß die Augen auf. Für einen Augenblick wußte er nicht, wo er war, und erkannte dann die vertraute Umgebung seines Zimmers im Imperiale. Eumenides, dem er ein Bett angeboten hatte, stand am Fenster und sah hinaus.
Causton saß in seinem Bett. »Gottverdammt!« sagte er. »Diese Geschütze sind nahe. Favel muß durchgebrochen sein.« Er kroch aus dem Bett und war einen Augenblick verwirrt, als er merkte, daß er seine Hose noch anhatte. Eumenides trat vom Fenster zurück und sah Causton betrübt an. »Sie werden in Stadt schießen«, sagte er. »Wird sehr schlecht sein.«
»Das ist es meistens«, sagte Causton und rieb sich die Bartstoppeln. »Was ist dort unten los?«
»Viele Leute – Soldaten. Viele verwundet.«
»Verwundete zu Fuß? Serrurier muß auf dem Rückzug sein. Aber er wird sein Äußerstes tun, um die Stadt zu halten. Da fängt der schrecklichste Teil an – die Straßenkämpfe.« Er zog mit schnellen, geübten Bewegungen einen Federwerk-Rasierapparat auf. »Serruriers Polizei hat die Bevölkerung niedergehalten; das war klug von ihm – er wollte nicht, daß seine Truppen durch Flüchtlingsströme behindert würden. Aber ob sie das auch mitten in einer Schlacht noch können, ist eine andere Frage. Ich habe das Gefühl, dies wird ein häßlicher Tag.«
Der Grieche zündete sich eine neue Zigarette an und sagte nichts.
Causton beendete schweigend seine Rasur. Er dachte darüber nach, was die Nähe der Geschütze zu bedeuten hatte. Favel mußte Serruriers Truppen im Negrito-Tal zerschlagen haben und in höchster Eile bis an den Rand von St. Pierre vorgestoßen sein. Bei einem so schnellen Vorstoß mußte er wohl auf Säuberungsoperationen verzichtet haben, und es waren wahrscheinlich intakte Teile von Serruriers Truppen über das ganze Negrito-Tal verstreut; sie waren sicher desorganisiert, nach dem Umherirren in der Dunkelheit, aber bei Tageslicht konnten sie zu einer Gefahr werden – einer Gefahr, die Favel vielleicht in Kauf nehmen konnte.
Denn eine größere Gefahr erwartete ihn. Er war in die Ebene vorgestoßen und klopfte an die Tore von St. Pierre – bei hellichtem Tage, und Causton bezweifelte, ob er für eine Materialschlacht unter diesen Bedingungen gut genug vorbereitet war. Bis jetzt hatte er sich auf das Überraschungsmoment verlassen und auf den plötzlichen Hammerschlag des unerwarteten Artilleriefeuers gegen Truppen, denen die Gewalt von Granaten neu war – aber Serrurier hatte Artillerie und Panzer und eine Luftwaffe. Gewiß bestand die Panzerwaffe nur aus drei veralteten Tanks und einem Dutzend verschiedener, gepanzerter Fahrzeuge, die Luftwaffe war mit umgebauten Zivilflugzeugen ausgerüstet, und Favel konnte über diese kläglichen Bemühungen zur Entfaltung von Modernität lachen, solange er in den Bergen in Sicherheit war. Aber im offenen Gelände sah die Sache ganz anders aus. Sogar ein alter Tank würde das Schlachtfeld beherrschen, und die Flugzeugbesatzungen konnten sehen, wo sie ihre Bomben hinwarfen.
Causton betrachtete sein Gesicht im Spiegel und überlegte, ob Favel schnell genug vorgestoßen war, um Serruriers Artillerie zu
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