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Sog des Grauens

Titel: Sog des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bagley Desmond
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zu erschießen, deshalb stieg er aus dem Schrank, ging in den vorderen Raum und sah zum Fenster hinaus. Der vorbeifahrende Landrover wurde von einem Weißen gesteuert.
    »He – Sie!« rief er und stürzte zur Tür. »Sie dort – arrêtez!«
    Der Mann in dem Landrover sah sich um und hielt an. Causton rannte hin, und der Mann sah ihn neugierig an.
    »Teufel, wer sind Sie?« fragte er.
    »Gott sei Dank!« sagte Causton. »Sie sprechen Englisch – Sie sind Engländer. Meine Name ist Causton – ich glaube, man kann mich einen Kriegsberichter nennen.«
    Der Mann sah ihn ungläubig an. »Sie haben es aber früh gerochen, nicht wahr? Der Krieg hat erst gestern nachmittag begonnen. Sie sehen auch nicht sehr nach einem Kriegsberichter aus – eher nach einem angemalten Negersänger, der ans falsche Publikum geraten ist.«
    »Ich bin durchaus echt«, versicherte Causton.
    Der Mann hob eine Maschinenpistole auf, die auf dem zweiten Sitz gelegen hatte. »Ich glaube, Favel sollte sich Sie einmal ansehen«, sagte er. »Steigen Sie ein!«
    »Genau der Mann, den ich sprechen möchte«, sagte Causton, während er in den Landrover kletterte und dabei die Maschinenpistole sorgfältig im Auge behielt. »Sind Sie ein Freund von ihm?«
    »Ich glaube, das könnte man sagen«, sagte der Mann. »Mein Name ist Manning.«
    ***
    »Es ist zu heiß«, nörgelte Mrs. Warmington.
    Julie empfand das auch, sagte es aber nicht laut – sie hatte nicht die geringste Lust, ausgerechnet mit Mrs. Warmington in irgendeiner Sache übereinzustimmen. Sie bewegte sich ein wenig, um die auf der Haut klebende Bluse am Rücken abzulösen, und sah durch die Windschutzscheibe nach vorn. Sie sah genau dasselbe, was sie schon die letzte halbe Stunde gesehen hatte – einen kleinen Handwagen, der gefährlich hoch mit schäbigem Hausrat beladen war und von einem alten Mann und einem kleinen Jungen geschoben wurde. Sie hielten sich stur in der Mitte der Straße und waren nicht bereit, an die Seite zu fahren.
    Rawsthorne schaltete ärgerlich wieder vom zweiten Gang in den ersten herunter. »Der Motor wird bald kochen, wenn wir so weiterfahren müssen«, sagte er.
    »Wir dürfen nicht anhalten«, sagte Julie erschrocken.
    »Anhalten könnte sich als schwieriger erweisen, als weiterzufahren«, sagte Rawsthorne. »Haben Sie sich in letzter Zeit mal umgesehen?«
    Julie drehte sich auf ihrem Sitz um und sah durch das Heckfenster des Wagens, der gerade über einen kleinen Hügel fuhr. Hinter ihnen folgte, so weit sie die Straße übersehen konnte, die lange Schlange von Flüchtlingen aus St. Pierre. Sie hatte so etwas in alten Wochenschaufilmen gesehen, hatte aber nie erwartet, es einmal in Wirklichkeit zu sehen. Das war ein Volk auf der Wanderung. Sie trotteten müde dahin, weg von der kommenden Verwüstung durch den Krieg, und schleppten soviel wie möglich von ihren Habseligkeiten auf einem unglaublichen Sammelsurium von Fahrzeugen mit sich. Sie sah Kinderwagen, in denen keine Babys, sondern Zimmeruhren, Kleidung, Bilder, Ornamente gefahren wurden; es waren da Karren, die geschoben oder von einem Esel gezogen wurden; da waren ramponierte Autos von unglaublichem Alter, Autobusse, Lastwagen und die besseren Personenwagen der wohlhabenden Leute.
    Aber in erster Linie waren da Menschen: Männer und Frauen, alte und junge, reiche und arme, gesunde und kranke. Es waren Menschen, die nicht lachten und nicht sprachen, die still dahintrotteten wie eine Viehherde, mit grauen Gesichtern und gesenkten Blicken, deren einziger sichtbarer Ausdruck von Bewegung das nervöse Herumwerfen des Kopfes war, wenn sie nach rückwärts spähten.
    Julie drehte sich wieder um, als Rawsthorne hupte. »Der verdammte Kerl macht nicht Platz«, schimpfte er. »Wenn er nur ein wenig zur Seite führe, käme ich vorbei.«
    Eumenides sagte: »Die Straße – sie fällt auf Seite.« Er zeigte auf den Karren. »Er Angst, er fällt um.«
    »Ja«, sagte Rawsthorne. »Der Karren ist mächtig überladen, und die Straße ist wirklich stark gewölbt.«
    Julie sagte: »Wie weit sollen wir noch?«
    »Etwa drei Kilometer.« Rawsthorne zeigte durch eine Kopfbewegung nach vorn. »Sehen Sie, wo die Straße um die Landzunge dort herumführt? Wir müssen auf die andere Seite kommen.«
    »Wie lange werden wir brauchen?«
    Rawsthorne stoppte, um den Alten nicht anzufahren. »Bei diesem Tempo wird es noch zwei Stunden dauern.« Der Wagen bewegte sich ruckweise weiter. Die Flüchtlinge zu Fuß kamen tatsächlich

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