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Sog des Grauens

Titel: Sog des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bagley Desmond
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Rawsthorne geworden sein mochte, und kam zu dem Schluß, daß er wohl auch festgenommen oder gar getötet worden war. Es war nur das glückliche Dazwischentreten des Negeroffiziers gewesen, das sie gerettet hatte, und vielleicht hatte Rawsthorne nicht soviel Glück gehabt. Sie hielt sich kühl die Tatsache vor Augen, daß sie sterben würde, wenn sie nicht aus diesem Schuppen herauskäme. Rawsthorne hatte den Steinbruch schon als unsicheren Aufenthalt während des Hurrikans bezeichnet. Ganz gleich, wie der Bürgerkrieg ausgehen sollte, sie würde sterben, wenn es ihr nicht gelänge zu fliehen.
    Ihre Gedanken wanderten wieder zu Wyatt. Es war so schade, daß sie jetzt, da sie endlich zusammengekommen waren, schon wieder auseinandergerissen wurden und vielleicht beide sterben sollten. Im Augenblick hielt sie nicht viel von ihren eigenen Chancen, und obwohl sie nicht wußte, was aus Wyatt geworden war, bezweifelte sie, daß er den Krieg in St. Pierre überlebt haben könnte.
    Sie wurde von Mrs. Warmington aus ihren Gedanken herausgerissen. »Ich bin durstig.«
    »Das bin ich auch«, sagte Julie. »Halten Sie den Mund!« Etwas ging draußen vor – oder ging vielmehr nicht mehr vor –, und sie winkte schnell mit der Hand und bedeutete Mrs. Warmington, still zu sein. Es war plötzlich ruhig geworden. Da war noch der Verkehrslärm von der Hauptstraße, aber das Lastwagengebrumm im Steinbruch hatte aufgehört. Sie spähte wieder durch den Spalt in der Tür und fand den Steinbruch leer, bis auf einen Soldaten, der gut zehn Meter entfernt im Schatten hockte und zu dösen schien. Da war also doch eine Wache.
    Julie drehte sich um, riß Mrs. Warmington die Handtasche aus den Händen und nahm das Bündel Banknoten heraus. Mrs. Warmington flog hoch. »Lassen Sie das drin – das gehört mir!«
    »Sie wollen doch Wasser haben, oder nicht?« fragte Julie. »Vielleicht können wir etwas Wasser kaufen.« Sie betrachtete das dicke Notenbündel. »Vielleicht können wir uns sogar die Freiheit erkaufen – wenn Sie still sind.« Mrs. Warmington schloß den Mund unvermittelt, und Julie sagte: »Ich bin in dieser Sprache nicht zu Hause, aber ich will es versuchen; das Geld wird schon deutlich genug sprechen.«
    Sie ging an die Tür und sah durch den Spalt. »He – Sie dort!«
    Der Soldat drehte sich träge um und blinzelte zur Tür. Er sah etwas, das nach einer großen Banknote aussah, aus der Tür herausragen und langsam auf und ab wedeln. Er stand auf, nahm sein Gewehr und näherte sich dem Schuppen mit einer Mischung aus Vorsicht und Habgier. Die Banknote verschwand, als er danach greifen wollte, und eine weibliche Stimme sagte: »L'eau … agua. Können Sie uns was besorgen?«
    Julie sah das verdutzte Gesicht des Mannes und sagte dringlich: »Bringen Sie uns Wasser! Wasser … l'eau … agua. Sie kriegen das Geld.«
    Der Soldat kratzte sich am Kopf, und dann hellte sich sein Gesicht auf. »Ah – l'eau!«
    »Ja, richtig. Sie kriegen das Geld – das Geld, hier, sehen Sie – wenn Sie uns l'eau bringen.«
    Er plapperte in einem unverständlichen Dialekt los und endete mit: »L'argent … la monnaie … pour l'eau?«
    »Richtig, mein Lieber; du hast's begriffen.«
    Er nickte und ging davon, und Julie seufzte erleichtert. Ihre Kehle war ausgetrocknet und rauh wie Sandpapier, und der Gedanke an kühles Wasser machte sie einen Augenblick schwindeln. Aber da war etwas zu tun, bevor der Soldat zurückkam. Es war nicht wahrscheinlich, daß er die Tür aufschließen würde – vielleicht hatte er gar keinen Schlüssel –, und wie sollte er das Wasser in den Schuppen bringen?
    Sie ergriff den schweren Hammer und beklopfte vorsichtig den unteren Rand der Tür, wo sie am schwächsten zu sein schien. Dann schwang sie den Hammer wie einen Golfschläger und ließ ihn einmal gegen das morsche Holz sausen. Ein Stück flog weg und öffnete ein kleines Loch, mehr wagte sie im Augenblick nicht. Sie wußte nicht, wie weit der Soldat gegangen war, und er konnte noch in Hörweite sein – einen scharfen Schlag würde er vielleicht überhören, aber nicht die wiederholten Schläge, die erforderlich wären, um die Tür aufzuschlagen.
    Sie sah ihn mit einer Flasche und einem Blechbecher zurückkommen. Er blieb stehen und sah ratlos drein, als sie an der Tür rüttelte. Er sagte etwas und zuckte mit den Schultern, und sie begriff, daß er die Tür nicht öffnen konnte, daher beugte sie sich nieder und streckte ihre Hand durch das Loch, das

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