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Sog des Grauens

Titel: Sog des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bagley Desmond
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sondern eine ordentliche Hinrichtung.«
    Julie sprach ohne besondere Betonung, aber ihre Worte ließen Mrs. Warmington frieren. Sie zog sich voll Grauen in eine Ecke zurück. Julie sagte: »Also kommen Sie mir nicht zu nahe, Sie Windmacherin, ich könnte sonst in Versuchung kommen! Ich könnte Sie töten, es würde mir nicht schwerfallen.« Ihre Stimme klang gleichgültig, aber als sie auf ihre Hände blickte, sah sie, daß sie zitterten.
    Sie drehte sich um und spähte wieder durch den Spalt in der Tür, über sich selbst erstaunt. Nie vorher hatte sie sich auf diese Art gegen einen anderen Menschen gewandt, mit der klaren Absicht, ihn zu verletzen, und nie vorher hatte sie vor Wut gezittert. Viel zu lange hatte sie die Höflichkeit gewahrt, die ihr als Stewardeß eingedrillt worden war, und es tat ihr gut, diesem unnützen und gefährlichen Weib die Peitsche zu geben. Sie spürte Kraft in sich aufsteigen und wußte, daß sie richtig gehandelt hatte.
    Sie spürte etwas warm über ihren Schenkel rinnen und sah nach dem trocknenden Blut an ihrem Arm, wo sie mit einem Bajonett gestochen worden war. Es war viel Betrieb draußen, aber niemand schien sich sehr für den Schuppen zu interessieren. Deshalb zog sie ihre Hose aus und untersuchte die Wunde an ihren Beinen.
    Unglaublicherweise hatte Mrs. Warmington ihre Handtasche behalten, als sie den Berg hinuntergezerrt wurden, und Julie hob sie jetzt auf und kippte den Inhalt auf den Boden aus. Sie enthielt nicht mehr als den üblichen Kram in einer Damenhandtasche: Lippenstift, Puderdose, Kamm, Geldscheine und Münzen – eine ganze Menge davon, Reiseschecks, Federhalter, Notizbuch, ein Päckchen Papiertaschentücher, ein Röhrchen Aspirin, eine kleine Flasche Alkohol, der sich als Bourbon herausstellte, eine Kollektion Haarnadeln, einige Papierfetzen – und einen widerlichen Geruch nach verschüttetem Gesichtspuder.
    Sie rührte mit ihrem Finger in dem Häufchen und sage sardonisch: »Sie haben Ihre Juwelen verloren.« Sie nahm die Papiertaschentücher und legte sie auf ihre Wunden. Sie waren nicht allzu schlimm; die schlimmste war nicht einmal einen Zentimeter tief, aber sie bluteten stark, und sie wußte, wenn sie zu bluten aufhörten, würden ihre Beine sehr steif werden und sich nur unter Schmerzen bewegen lassen. Sie nahm zwei von den Aspirintabletten und stopfte sich den halben Inhalt des Röhrchens in ihre Blusentasche. Als sie die Aspirintabletten hinunterschluckte, wurde ihr klar, daß ihnen Wasser fehlte, und sie überlegte, was sich da machen ließe. Dann zog sie ihre Hose wieder an und warf Mrs. Warmington den Rest der Taschentücher zu. »Machen Sie sich sauber!« befahl sie barsch und ging wieder an die Tür.
    Sie beobachtete die Szene eine lange Zeit. Der Steinbruch bildete offenbar einen praktisch gelegenen Militärpark, nahe der Hauptstraße, aber abseits vom Verkehrsstrom. Es fuhren viele Lastwagen herein und hinaus, aber sie bemerkte, daß allmählich immer weniger Fahrzeuge stehenblieben. Sie hoffte für einen Augenblick, daß alle Soldaten wegfahren und die in dem Schuppen eingesperrten weißen Frauen vergessen würden. Und sie überlegte, wie groß die Aussicht darauf wohl war.
    Nach einer Weile wurde sie müde davon, den Betrieb zu beobachten, der sich doch nicht änderte, und begann den Schuppen zu untersuchen. Mrs. Warmington saß stumm in ihrer Ecke und sah Julie angstvoll an, aber Julie ignorierte sie. Die meisten der Kisten waren leer, aber hinter einer großen Teekiste, die mit allerlei altem Eisen gefüllt war, fand sie einen Vorschlaghammer und eine Spitzhacke, beide in brauchbarem Zustand.
    Julie hob den Hammer und sah sich dann die Wände des Schuppens an. Der hölzerne Rahmen war morsch, und die Nägel, die die rostigen Wellblechtafeln festhielten, waren verrostet, und sie hielt es nicht für schwierig, sich einen Ausgang zu verschaffen, vorausgesetzt, daß niemand in Hörweite war – was kaum der Fall sein würde. Sie stellte die Werkzeuge hinter der Tür bereit, wo sie nicht gleich zu sehen waren, und begab sich wieder an ihren Ausguck. Der Vormittag ging dahin, und langsam leerte sich der Steinbruch von Fahrzeugen. Als die Sonne höher stieg, erwärmte sich der Schuppen auf Backofenhitze, und die Eisenwände wurden zu heiß zum Anfassen. Die zwei Frauen saßen da und schwitzten. Sie hörten das laute Schalten und das Aufheulen der Motoren, während die schweren Lastwagen hin und her fuhren.
    Sie dachte darüber nach, was aus

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