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Sohn Der Nacht

Titel: Sohn Der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Spruill
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die Höhle. Zanes Blicke eilten wild umher und sammelten letzte, verzweifelte Eindrücke von der Welt.
    Merrick zögerte, und Katie konnte die Agonie auf seinem Gesicht sehen. »Ich muß«, sagte er, »ich muß.«
    Merrick trug seinen Sohn hinunter in das Gewölbe, versie gelte die massive Tür hinter sich und drehte innen das Rad des Kombinationsschlosses zweimal. Egal, was jetzt in diesen letzten Sekunden auch geschah, Zane war eingeschlossen. Merrick eilte mit seiner strampelnden Last durch die Lager der Sauger und stieß gegen das Bein eines der Totenbetten, wodurch er ein metallisches Kreischen auf dem steinernen Boden hervorrief. Er hoffte, Sandeman habe es nicht gehört. Als er zurück zu Jennys Haus gefahren war, um Sandeman abzuholen und wieder in das Gewölbe zu bringen, schien der sterbende Sauger erschöpft und kaum noch in der Lage zu sprechen. Laß ihn jetzt schlafen, dachte Merrick.
    Und wenn nicht, laß ihn nicht sprechen.
    Merrick eilte in eine der offenstehenden Seitenzellen und ließ Zanes gefesselten Körper auf sein Lager gleiten.
    »Laß mich nicht so zurück.« Zane stemmte sich gegen das Kabel, das ihn band. »Bitte, ich muß mich bewegen können. Ich werde sonst wahnsinnig.«
    Merrick holte den Schlüssel zu dem Vorhängeschloß des Kabels aus seiner Jackentasche und legte ihn auf das Bett neben seinem Sohn. Als er sich wieder der Tür zuwandte, umgab ihn plötzlich ein grauer Nebel. Die Tür schimmerte und verschwand vor seinen Augen ...
    Zane in meinen Gedanken!
    Merrick stürzte nach vorn zu der Stelle, wo die Tür gewe sen war, und dann war er auf Händen und Knien, ohne das Gefühl zu haben, daß er gestolpert war ...
    Auf dem steinernen Fußboden zwischen seinen beiden Armen und Knien lag der Leichnam eines Mannes. Die zer kaute, schartige Kehle hielt Merricks Blick mit hypnotischer Kraft gefangen. Das Blut des Mannes hatte aufgehört zu pul sieren; er konnte seine Wärme in seinem Bauch spüren, wie sie seinen Hunger besänftigte. Die sterbenden Augen des Barons von Mersey starrten auf seine Stirn, ihr Brennpunkt im Tod verwischt. Der bittere Selbstvorwurf, den Merrick in die sem Augenblick immer spürte, erhob sich wie ein letzter gif tiger Atemzug aus dem Leichnam. Der Baron hatte seine eige nen widerwärtigen Triebe ausgelebt, wie es von den kleinen menschlichen Knochen in seinem Verlies weiter unten in dieser kalten, zugigen Halle belegt wurde. Aber wer bin ich, um über ihn zu richten?
    »Vater?«
    Zanes Stimme hinter ihm riß seinen Blick von der Kehle des Barons los. Das junge Gesicht seines Sohnes war mit Blut bedeckt; die zarten Ansätze seines Schnurrbarts knisterten mit leichter Absurdität im Griff des gerinnenden Blutes. Ungeduld brannte in Zanes Augen. Da er sich als erster genährt hatte, war er jetzt bereit zu gehen. Ein Anfall von Besorgnis ergriff Merrick. Zane verspürte kein Bedauern über das, was sie getan hatten, hatte keinen Sinn für die Gewichtigkeit oder was sonst auch immer. Ich verfehle mein Ziel bei ihm, dachte Merrick. Und wenn ich es ver fehle...
    Zane - ich bin dabei, Zane zu vergraben.
    Sein junger Sohn verschwand, ersetzt von dem reifen, der jetzt auf dem Lager saß. Wie er wild an seinen Fesseln arbei tete, die sich bereits zu lösen begonnen hatten. Von Panik ergriffen stürzte Merrick aus der Hocke in Richtung der Zellentür - die wieder sichtbar geworden war - und durch sie hindurch. Dann wandte er sich um, warf sich mit der Schul ter gegen die Tür und brachte den Riegel wieder in seine alte Lage, als Zane schreiend gegen die andere Seite krachte.
    Merrick sank an der Tür zu Boden und ertrug die mächti gen Schläge von Zanes Fäusten durch den Stahl hindurch, glücklich über die Bestrafung, die niemals genug sein konnte. Wie viele Unschuldige hatten sterben müssen, weil er Zane Blut gegeben hatte? Nun hatte er dieses Blut weggenommen. Es war erledigt.
    Ich bin erledigt, dachte Merrick.
    Er merkte, daß Zane aufgehört hatte zu schlagen. Er spürte das Gesicht seines Sohnes an der Tür hinuntergleiten; spürte Zanes Schulter durch die drei Inches starke Stahltür, wie sie jetzt fast genau an seiner eigenen ruhte. Er weiß auch, daß es vorbei ist, dachte Merrick. Jetzt, wo die Tür verschlossen ist, macht es keinen Sinn mehr, mich in meinen Erinnerungen zu lähmen.
    Als er die Augen hob, um die schweren, plumpen Flügel des drehbaren Riegels anzustarren, spürte Merrick einen kalten Widerhall entlang seines Rückgrats. Fünfhundert Jahre

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