Sohn der Verdammnis: Die Chronik der Erzengel. Roman (German Edition)
eines Baumes geschwungen, der mit weißen Blüten bedeckt war, und stopfte sich dessen reife Früchte eine nach der anderen in den Mund.
»Hrrm!«, räusperte sich Jether. Obadiah starrte ihn mit aufgerissenen Augen an, verlor den Halt und fiel herab. Sein Aufprall wurde von einem weichen Beet von Himmelsschlüsselblumen aufgefangen, die daraufhin einen Seufzer von sich gaben. Mit einem Satz war Obadiah auf den Füßen und trippelte zu Jether hinüber, wobei er sich die klebrigen Finger an seinem seidenen Gewand abwischte.
Jether sah ihn strafend an, dann setzte er sich erneut in Bewegung und ging mit weit ausholendem Schritt vorbei an den plätschernden Brunnen und den gestutzten Hecken.
Obadiahs rotblonde Löckchen flogen ihm um den Kopf, während er sich verzweifelt bemühte, mit seinem forschen Meister Schritt zu halten. Er starrte gierig auf einen großen Erdbeerbusch am Wegesrand und pflückte im Vorbeigehen eine einzelne purpurne Erdbeere. Als er den Mund öffnete, um sie hineinzustecken, wurde ihm die Frucht aus den Fingern gerissen. Sie flog direkt auf Jethers Handfläche.
»Ich habe dir doch gesagt, Obadiah«, sprach Jether in strengem Ton, »dass ich auch Augen im Hinterkopf habe.«
Er wandte sich um und schüttelte missbilligend den Kopf, sodass Obadiah rot wurde. Dann schob er sich ungerührt die Beere in den eigenen Mund, während seine Augen in heimlichem Vergnügen funkelten.
Jether setzte seinen Weg fort zum Zentrum des Turmgartens, wo sich an einem großen goldenen Tisch auf goldenen Thronen der Rat Jehovahs versammelt hatte – dreiundzwanzig Älteste, deren langes weißes Haar und weiße Bärte in der himmlischen Brise wallten. Jeder von ihnen trug eine goldene Krone – mit Ausnahme Xacheriels, der sie durch einen orangeroten Südwester ersetzt hatte.
Jether trat zu ihnen und übernahm den Vorsitz am Kopf des Tisches, ohne auf den übereifrigen Obadiah zu achten, der ihm so eilig folgte, dass er sich in den Falten seines Gewandes verhedderte.
Er sah zu Xacheriel hinüber und runzelte demonstrativ die Stirn. Xacheriel erwiderte das Stirnrunzeln; doch dann nickte er einem zweiten Jüngling zu, seinem eigenen Helfer mit Namen Dimnah, der mit der goldenen Krone des Ältesten herbeistürzte. Widerwillig nahm Xacheriel den orangefarbenen Hut aus geöltem Segeltuch vom Kopf, den er zum Schutz bei einem seiner gewagteren wissenschaftlichen Experimente aufgesetzt hatte. Mit einem entrüsteten Schnauben riss er Dimnah die Krone aus der Hand und setzte sie sich aufs Haupt.
Jether ließ seinen Blick über die versammelten Ältesten schweifen und verneigte sich der Reihe nach vor jedem Einzelnen, ehe er sich auf seinen hyazinthenen Thron niederließ.
Er hob die Hand. Sogleich sanken die himmlischen Brisen zu einem sanften Säuseln herab.
»Beugen wir unser Haupt im Gebet, meine Mitstreiter«, gebot Jether und schloss die Augen.
In einer einzigen gemeinsamen Bewegung neigten sich die weißen gekrönten Häupter des Hohen Rates.
Dimnah verbeugte sich eilfertig vor Xacheriel, wieder und wieder.
Xacheriel schüttelte warnend den Kopf, aber Dimnah bemerkte es nicht. Seine Augen waren in Verzückung geschlossen, während er mit seinen unentwegten Verbeugungen fortfuhr; seine Stirn berührte mit jeder Senkung des Kopfes das Gras.
Jether öffnete ein Auge, um den Grund für die Störung ausfindig zu machen.
»Dimnah – hör auf!«, zischte Xacheriel schließlich so laut, dass der sanfte Lamaliel, der zu seiner Rechten saß, aus der Versunkenheit aufschreckte, durch die plötzliche Bewegung ins Schwanken geriet und von seinem Thron zu Boden fiel.
Als Xacheriel sich zu dem Gestürzten beugte, um ihm aufzuhelfen, verfingen sich seine übergroßen Gummistiefel in Lama-liels Robe, worauf Dimnah und der herbeigeeilte Obadiah ihm zu Hilfe kamen. Dies brachte wiederum Xacheriel aus dem Gleichgewicht, der auf den armen Lamaliel fiel, sodass schließlich beide Älteste ineinander verheddert am Boden lagen – und Dimnah und Obadiah obenauf.
Jether musste an sich halten, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen, während Issachar und Methusalem dem wütenden Xacheriel und dann dem beschämten Lamaliel aufhalfen.
»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, hochwürdiger Lamaliel«, keuchte Xacheriel, als er wieder halbwegs zu Atem gekommen war.
»Aber keine Ursache, verehrter Xacheriel.« Lamaliels Augen funkelten, als habe er gerade ein großes Abenteuer erlebt. »Eine willkommene Abwechslung bei meinen
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