Sohn der Verdammnis: Die Chronik der Erzengel. Roman (German Edition)
große eiserne Tür der Abtei. Ein älterer Herr im Frack begrüßte Nick mit einer knappen Verbeugung.
»Hallo, Anton«, grüßte Nick nonchalant zurück.
»Ihr Bruder erwartet Sie, Mr. De Vere.« Antons Englisch war förmlich und guttural. Er betrachtete missbilligend Nicks zerrissene Jeans und seine ausgebleichte Lederjacke. »Folgen Sie mir.«
Nick schritt hinter Anton durch die Vorhalle, hinein in die hohen, gewölbten gotischen Hallen von Mont-Saint-Michel. Sie gingen eine Reihe von langen Steinkorridoren entlang, deren Wände mit kostbaren alten Meisterwerken behangen waren. Schließlich kamen sie an eine riesige stählerne Doppeltür.
Nick musste sich erneut einem Gesichtsscanner stellen. Sekunden später öffneten sich die stählernen Torflügel. Dahinter erhoben sich über fünf Meter hohe Türen aus Mahagoniholz.
Zwei von Grubers Sicherheitskräften tauchten auf.
»Ich kenne die Prozedur«, knurrte Nick. Er reichte ihnen Schultertasche und Kamera. Er wartete ungeduldig, während Grubers Leute die Sachen durch einen Hightech-Scanner schickten. Schließlich gaben die Männer sie ihm zurück.
Anton stieß die Türen zu dem riesigen, prächtig möblierten Amtsbereich des Europäischen Präsidenten auf.
Adrians Bürochef, Laurent Chastenay, nahm Nick in Empfang. Der große, wortgewandte Mann, der einen schlanken Laptop in der Hand hielt, schritt dem Besucher entgegen und begrüßte ihn.
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Mr. De Vere«, sagte er dann freundlich. »Ihr Bruder erwartet Sie im Salon.«
Chastenay warf kurz einen Blick auf seine Armbanduhr, bevor er einen Gang entlangging und an dessen Ende scharf nach links abbog. Nick folgte ihm. Der Bürochef öffnete eine Tür und hielt sie für den Besucher auf, während er ihn mit einer Geste hindurchwinkte.
Nick betrachtete die kostbaren, aus picardischer Wolle, italienischer Seide und vergoldeten Silberfäden gewirkten Wandbehänge, die pastellfarbenen Aubusson- und Savonnerie-Teppiche sowie die Chesterfield-Sofas. Zu guter Letzt fiel sein Blick auf ein riesiges Gemälde des vor knapp drei Jahrzehnten verstorbenen irischen Malers Francis Bacon.
Nick lächelte. Typisch Adrian.
Bei seinem letzten Besuch war man gerade dabei gewesen, den Salon für Adrians Amtsantritt herzurichten. Nun war der Raum großartig ausgestattet. Eine Widerspiegelung von Adrians unfehlbarem Stilempfinden.
Adrian stand mit den Händen auf dem Rücken vor den riesigen geöffneten Kirschholztüren und ließ den monumentalen Ausblick quer über die Bucht auf das offene Meer auf sich wirken. Am Himmel kreisten Kampfhubschrauber.
»Ihr Bruder, Mr. Nicholas De Vere, ist hier und möchte Sie sprechen, Herr Präsident.«
»Oh, vielen Dank, Laurent. »Adrian wandte sich um.
Chastenay machte eine Verbeugung. »Ihre Videokonferenz mit dem russischen Premierminister beginnt in fünfzehn Minuten, Herr Präsident.« Erneut neigte er den Oberkörper leicht vor, dann verließ er den Raum.
»Nicky«, sagte Adrian und lächelte breit. Mit einer ausholenden Geste wies er auf die Bucht. »Das Wunder des Westens«, sagte er leise. » À la vitesse d’un cheval au galop. Die Flut kommt mit der Schnelligkeit eines galoppierenden Pferdes. Sagt Victor Hugo.«
Er drehte sich wieder um und sah Nick an. »Die Flut kommt mit fast einem Meter pro Sekunde«, erklärte er. »Einer der gefährlichsten Gezeitenströme der Welt. Sowohl was die Höhe des Tidenhubs als auch was die Geschwindigkeit angeht.«
Nick nahm Adrian näher in Augenschein. Er war makellos wie immer. Ja, er sah aus wie das Idealbild eines modernen Monarchen. Von seinen handgenähten Oliver-Sweeney-Schuhen bis zu seinem geradezu obszön teuren Alexander-Amosu-Anzug aus Goldfäden und nepalesischem Wolle-Seide-Gemisch mit seinen neun 18 -karätigen Pavé-Diamant-Knöpfen.
Adrians Schwäche für Designeranzüge und moderne Kunst waren seine einzigen Maßlosigkeiten in seiner normalerweise spartanischen Lebensführung. Während Nick stets das Geld mit vollen Händen ausgab, hatte Adrian es gehortet, seit er jung war: ein Charakterzug, der sich mit den Jahren immer stärker ausgeprägt hatte.
Nick schrieb dies Adrians strenger Erziehung und seinem zielstrebigen Lebenslauf zu: erst ein B. A.-Studium (Hons.) in Philosophie, Politologie und Wirtschaftwissenschaften in Oxford, danach zwei Jahre in Princeton und ein Jahr mit dem Schwerpunkt Arabistik in Georgetown, gefolgt von vier Jahren als Direktor von De Vere Asset
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