Solang die Welt noch schläft (German Edition)
wieder einmal ein paar Anstiege trainiere. Außerdem beginnt jetzt im Juni der Laubschnitt in unseren Weinbergen, da wird jede Hand gebraucht.« Was rede ich denn da?, fragte er sich. Bisher hatte er sich vor der Arbeit in den Weinbergen gedrückt, so gut es ging. Aber plötzlich verspürte er den seltsamen Drang, wieder einmal eine Rebschere in die Hand zu nehmen. Seine Nase sehnte sich nach dem Geruch der Feuer, die aus dem abgeschnittenen Rebholz gemacht und in denen im Herbst die Kartoffeln geröstet wurden.
Isabelle schaute ihn mit großen Augen an. Ihre Zukunft lag in seinen Händen – nicht weniger besagte ihr Blick.
Leon richtete sich ein wenig weiter auf. »Nachdem ich deine Heimat kennengelernt habe, wird es höchste Zeit, dass du die meine kennenlernst. Wer weiß, vielleicht gefällt dir die Pfalz so gut, dass du für länger bleiben magst?« Das bezweifelte Leon nun sehr, aber er hatte inzwischen so großen Gefallen an seiner Rede gefunden, dass er deren Inhalt nicht weiter in Frage stellte.
»War das ein Heiratsantrag?«, fragte Isabelle atemlos.
Leon verzog das Gesicht, als habe er Zahnweh. Wie er das Wort hasste! All die letzten Jahre war er erfolgreich darum herumgekommen. Doch nun zuckte er lässig mit den Schultern und sagte: »Das wird es wohl gewesen sein. Nicht, dass ich es nicht länger als freier Mann ausgehalten hätte! Aber du brauchst nun einmal einen so verrückten Kerl wie mich an deiner Seite. Da bleibt mir doch gar nichts anderes übrig, als dich zu ehelichen, oder?«
Im nächsten Moment lagen sie sich in den Armen. Leon fuhr es durch Mark und Bein, als er Isabelles Körper so eng an seinem spürte. Stöhnend versuchte er, mit seiner rechten Hand unter ihren Rock zu gelangen. Ein Räuspern unterbrach ihn in seinen Anstrengungen.
»Woll’n wa nu weiterfahr’n oder wat?«, rief der Kutscher ihnen zu.
Wie schnell sich das Blatt wenden konnte … Isabelle hätte die ganze Welt umarmen können! Gerade noch war sie in tiefer Trübsal versunken gewesen, und nun sah alles so rosig aus. Sie als Leons Ehefrau. Eine Winzerin in der schönen Pfalz. Sie kicherte ausgelassen, während sie über den großen Hof spazierte, der zu Adrians Fahrradhandel führte.
Schrecklich neidisch war sie auf ihn und Josefine und all ihre Zukunftspläne gewesen. Dabei – war ein Fahrradhandel nicht ziemlich gewöhnlich?
»Wir bleiben nicht lange, in Ordnung?«, sagte sie und lächelte Leon dabei vielsagend an. »Meine Eltern sind übers Wochenende in Potsdam, ein Ausflug der Berliner-Fabrikanten-Union, mein Vater ist dort inzwischen in den Vorstand gewählt worden, sie kommen bestimmt nicht früher nach Hause.«
Leon nickte wohlgefällig, wie immer, wenn sie von den Erfolgen ihres Vaters erzählte. Als Siegertyp war er anderen Siegern gegenüber großzügig – ein Wesenszug, den Isabelle sehr schätzte.
»Und was hat das damit zu tun, wie lange wir bei Adrians Fest bleiben?«
Er war so süß, wenn er solche Fragen stellte! Isabelle strahlte. »Nun, das bedeutet zwei Dinge … Erstens sind wir allein zu Hause«, sagte sie und warf ihm einen verführerischen Blick zu. »Und zweitens hält mich niemand auf, wenn ich meine Sachen packe.«
»Deine Sachen packen? Du meinst … Du willst türmen? Einfach so?«
»Ja«, sagte Isabelle schlicht. Es kam selten vor, dass es ihr gelang, Leon aus der Fassung zu bringen. Umso mehr genoss sie den Moment. »Mein Vater würde mir nie erlauben, dich zu heiraten. Er hat doch längst einen neuen Hochzeitskandidaten für mich ausgesucht. Obwohl, so neu ist er gar nicht, vielmehr ist Karlheinz Freiherr von Salzfeld ein alter Verehrer von mir. Meine Mutter war schon vor Jahren äußerst entzückt von dem Gedanken, dass ich durch eine Heirat mit ihm Zugang zum kaiserlichen Hof bekomme. Ich hingegen wollte ihn schon damals nicht.« Sie verzog die Nase, als sie sich an den Geruch von Mottenkugeln erinnerte, der Karlheinz und seine uralte Mutter stets umgeben hatte.
»Aber … du riskierst ein ernsthaftes Zerwürfnis! Zieht das nicht große Probleme nach sich? Ich meine, bekommen Bräute nicht immer eine Mitgift und …«
»Als ob mich das Geld meines Vaters interessiert.« Verächtlich winkte Isabelle ab. »Außerdem – du hast doch selbst gesagt, dass du Sehnsucht nach deiner Heimat hast. Je früher wir fahren, desto besser. Von mir aus kann es gleich morgen losgehen!« Sie strahlte übers ganze Gesicht. »Oh, da ist ja unser Liebespaar«, sagte sie und zeigte auf
Weitere Kostenlose Bücher