Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
Ich habe große Angst um dich.«
Ida und ihre Eltern waren nach der Hirschjagd wieder abgereist. Bis auf die Zimmer neben Feodoras Boudoir war das Haus jedoch noch voll mit Gästen, die der morgigen Saujagd entgegenfieberten. Schon seit Tagen hatte Feodora Klaus nicht zu Gesicht bekommen. Sie zerfloss vor Sehnsucht. Siemusste ihn einfach treffen! »Irmchen, bring das zu Klaus.« Sie reichte dem Mädchen einen kleinen, verschlossenen Umschlag.
»Muss dat sein?«
»Ja, Irmchen, es muss sein. Und sei vorsichtig.«
Seufzend schob Irma die Nachricht in die Tasche ihres Kleides. »Wenn dat man jutjeht«, murmelte sie beim Hinausgehen.
Während des Abendessens klagte Feodora über starke Hals- und Kopfschmerzen. »Ich werde früh zu Bett gehen«, sagte sie, als Heinrich die Tafel aufhob. »Die morgige Jagd will ich auf keinen Fall verpassen.« Sie plauderte noch eine Weile mit einigen Gästen, die sich in den Salons verteilten, um einen Mokka und die üblichen Verdauungsschnäpse zu sich zu nehmen. Dann sagte sie leise zu Heinrich: »Ich werde mich jetzt zurückziehen. Wenn es dir recht ist, schlafe ich heute Nacht in meinem Zimmer. Ich möchte dich auf keinen Fall anstecken.« Gegen ihre Gewohnheit drückte sie ihm einen Kuss auf die schweißnasse Wange und flüsterte ihm ins Ohr: »Bald haben wir die Nächte ja wieder ganz für uns.«
»Geh nur, Liebes.« Heinrich wischte sich zum wiederholten Mal die Schweißperlen ab. »Geh nur, und schlaf dich gesund. Bei uns wird es bestimmt wieder spät werden.«
Bis weit nach Mitternacht tönten aus den Salons ausgelassenes Lachen und zahlreiche Prosits nach oben, und Feodora meinte, kaum geschlafen zu haben, als bei noch tiefer Dunkelheit das Haus wieder zum Leben erwachte. Die Stimmen der Diener, die von Tür zu Tür gingen, um die Gäste zu wecken, waren zu hören, Menschen, die sich ein fröhliches Guten Morgen zuriefen, und kurz darauf schallendes Gelächteraus dem Speisesaal, wo das erste Frühstück eingenommen wurde.
Feodora hatte Irma bereits am Abend Anweisung gegeben, Heinrich morgens auszurichten, sie fühle sich außerstande, an der Jagd teilzunehmen. Die Kopfschmerzen hätten ihr jeglichen Schlaf geraubt. Aber zum Jagdessen am Mittag würde sie bestimmt erscheinen.
Feodora hatte das Fenster geöffnet. Wagen fuhren vor, Pferde wieherten und scharrten ungeduldig mit den Hufen, und die Jäger und ihre Gehilfen besprachen laut, wer auf welchem Wagen mitfahren sollte und wo jeder Einzelne später zum Treiben aufgestellt werden würde. Büchsen wurden verladen, und unter lauten Weidmannsheil-Rufen bestieg die Jagdgesellschaft die Wagen.
Ein paar Minuten später herrschte Stille. Feodora atmete auf. Vor Mittag würden sie nicht zurück sein. Im Haus war absolute Ruhe. Nur aus den weit entfernten Wirtschaftsräumen klangen ab und an die schrille Stimme der Hausdame und Käthes »Errbarrmunk« herüber.
Feodora schloss die Fenster. Sie lauschte angespannt. Würde er kommen? Da, ein leises Klopfen, und Klaus huschte herein. »Dreh den Schlüssel um«, konnte sie gerade noch flüstern, dann lagen sie sich in den Armen. Sie liebten sich, als gäbe es kein Morgen. Seine Hände und Lippen liebkosten sie mit zärtlicher Begierde, glitten über ihren Körper, hinab zwischen ihre weichen, seidigen Schenkel. Sie schmolz in seinen Armen dahin. Wogen der Wonne schlugen über ihr zusammen. Als er gekommen war, blieb er in ihr, sprach nicht, küsste nur zart ihre Augen, ihren Mund. Sie waren eins! Dann drängte sie sich ihm entgegen, spürte, wie er in ihr wuchs, stark wurde, und wieder verging sie, stöhntevor Seligkeit. Irgendwann fielen sie in einen unruhigen Schlaf.
Ungewohnte Geräusche ließen sie hochschrecken. Aufgeregte Rufe drangen zu ihnen herauf. Irgendetwas musste geschehen sein, die Wanduhr zeigte erst kurz nach zehn. Die Jagd konnte noch nicht vorbei sein. Klaus glitt aus dem Bett und schlüpfte in seine Kleider. »Ich werde nachsehen, was los ist«, flüsterte er.
In dem Moment näherten sich eilige Schritte. »Feda, wach auf!« Irma trommelte gegen die Tür.
»Schnell, in die Ankleide«, flüsterte Feodora. Dann fragte sie schläfrig: »Was ist, Irmchen, was soll dieser Lärm?«
Sie öffnete gähnend die Tür. Mit vor Schreck geweiteten Augen stand das Mädchen vor ihr. »Der Baron is tot. Er is erschossen worden.« Sie brach in Tränen aus. »Und jetzt suchen sie den Klaus. Die Kastner behauptet, nur er könnte et jewesen sein.«
Feodora war wie erstarrt.
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