Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
…«
»O Gott, diese fürchterliche Person …« Karl rollte die Augen.
»Also die Kastner …« Es fiel Feodora sichtlich schwer, weiterzusprechen. »… hat das Gerücht gestreut, ich und Klaus …«
»Das ist ja ungeheuerlich!« Karl war ehrlich empört.
»… na ja, und nun behauptet sie auch noch, nur Klaus könne Heinrich erschossen haben.« Sie holte tief Luft. »Stell dir vor, Karl. Sie hat es doch tatsächlich gewagt, ohne anzuklopfen, in mein Zimmer zu stürmen, um nachzusehen, ob ich den armen Jungen dort verstecke.«
Karl blickte sie fassungslos an. »Das darfst du dir nicht gefallen lassen!«
»Ich habe sie sofort entlassen, fristlos! Würdest du bitte dafür sorgen, dass sie mir nicht mehr unter die Augen kommt?«
»Mit dem größten Vergnügen, meine Liebe.«
Die Gendarmerie in Darkehmen, der nächst gelegenen Kleinstadt, war verständigt worden, und die Aussage Karls genügte, um als Todesursache einen Jagdunfall aufgrund einesQuerschlägers in den Totenschein einzutragen. Feodora bedauerte schon, Klaus zu dieser überstürzten Flucht gedrängt zu haben, als einige Tage später Ludolf zwei Gendarmen aus Insterburg anmeldete. Bis auf Karl waren nach der Beerdigung alle Hausgäste abgereist.
»Hast du eine Ahnung, was die von uns wollen, Karl?« Feodora war beunruhigt.
»Wir werden es gleich wissen. Ludolf, bitten Sie die Herren herein.«
»Gendarmerieoberinspektor Schrott, das ist Inspektor Anders«, begrüßte sie der Ältere der beiden.
»Was führt Sie zu mir?« Feodora sah sie fragend an.
»Uns liegt eine Anzeige gegen die Baronin von Harden vor.«
»Gegen mich?« Feodora musste lachen. »Was soll ich denn verbrochen haben?« Der junge Inspektor faltete bedächtig einen Zettel auseinander und begann langsam vorzulesen. »Feodora Baronin von Harden wird bezichtigt, gemeinsam mit Herrn Klaus Kreuzner ihren Mann Baron Heinrich von Harden heimtückisch ermordet zu haben.«
Feodora blickte fassungslos von einem zum anderen. »Ich soll was …? Wie kommen Sie denn um Himmels willen darauf?«
Karl war aufgesprungen und ging erregt hin und her. »Das ist ja ungeheuerlich! Die Gendarmerie hat eindeutig einen Jagdunfall durch einen Querschläger festgestellt. Wer hat die Frau Baronin denn überhaupt angezeigt?«
Stockend las der junge Inspektor weiter. »Eine Frau … Inge Kastner … ehemals …«
»Das hätte ich mir denken können!« Karl war kurz davor, die Contenance zu verlieren. »Diese Frau ist von der FrauBaronin wegen unbotmäßigen Verhaltens fristlos entlassen worden. Die Anzeige ist nichts als ein billiger Racheakt.«
Der Oberinspektor reckte sich zu seiner vollen Größe. »Es liegt uns eine Anzeige vor, und der müssen wir nachgehen. Ob Ihnen das passt oder nicht.«
»Walten Sie Ihres Amtes«, mischte Feodora sich jetzt ein. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen und stehe Ihnen selbstverständlich bei all Ihren Untersuchungen zur Verfügung.«
Für einen Tag herrschte auf Gut Eichen helle Aufregung. Die Gesindestube wurde zum Vernehmungsraum. Einer nach dem anderen wurde von Oberinspektor Schrott vernommen, was Inspektor Anders umständlich in ein dickes schwarzes Buch eintrug. Wer schreiben konnte, musste das Vernehmungsprotokoll unterzeichnen, die des Schreibens nicht mächtig waren, mussten neben ihrem Namen drei Kreuze machen. Die Befragung der Bediensteten ergab nichts, was einen Verdacht gegen Feodora erhärten konnte. Na ja, man habe die Frau Baronin mit Klaus zusammen ausreiten sehen, ziemlich vertraut seien sie gewesen …, aber niemand wusste etwas Genaues, und Irma sagte aus, alle Stunde nach der kranken Baronin gesehen und ihr die Unglücksnachricht überbracht zu haben, als diese noch fest schlief. Jäger und Treiber bestätigten, Klaus zwar noch am Abend vorher gesehen zu haben, jedoch weder vor noch während der Jagd. Verdächtig blieb, dass Klaus spurlos verschwunden war.
Die Anzeige gegen Feodora wurde wegen »erwiesener Unschuld« – darauf hatte Karl bestanden – fallen gelassen. Aber nach Klaus wurde intensiv gefahndet. Sein Bild mit der Unterschrift »Wegen Mordes gesucht!« hing in jeder Gendarmerie des Landkreises, einige Male erschienen Fahndungsaufrufe in den Zeitungen, aber nichts brachte einenErfolg. Und eines Tages geriet der Fall in Vergessenheit und verstaubte in den Akten.
Feodora vergrub sich auf Gut Eichen. Jeder sah, wie verzweifelt sie war, aber nur Irma wusste, wem ihre Trauer galt. Sie fiel von einem Extrem ins andere. »Ich hätte ihn
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