Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
Lektüre der Gartenlaube , ihrer Lieblingszeitschrift, gestört wurde.
»Er hat tatsächlich erreicht, dass Frankreich Elsaß-Lothringen an uns abtreten und außerdem fünf Milliarden Franc Kriegsentschädigung an uns zahlen muss. Der Mann ist wirklich ein Segen für Deutschland.«
»Da hast du wohl recht«, sagte Carla, der das eigentlich völlig egal war. Im Moment interessierte sie es mehr, wie es in Goldelse , Eugenie Marlitts neuem Fortsetzungsroman, weiterging.
Aus Troyenfeld kamen keine beunruhigenden Nachrichten, und Hanno hatte seine Frau überredet, ihre regelmäßigen Kontrollbesuche, wie er es nannte, etwas einzuschränken. »Leopold ist ja jetzt da und wird schon dafür sorgen, dass es Feodora nicht an der nötigen Zuwendung fehlt«, versuchte er Carla zu beruhigen.
»Du hast ja recht. Ich werde mich zurückhalten, auch wenn es mir schwerfällt. Es ist schließlich ihr Leben und nicht meins.« Carla hatte sich letztlich gefügt.
Es war vier Wochen vor Feodoras erstem Geburtstag. Carla war für ein paar Tage nach Königsberg zu ihrer Freundin Irina gefahren. Bei Juwelier Gürtler lag Feodoras Geburtstagsgeschenk: ein silberner Serviettenring mit Gravur. Außerdem wollte sie sich endlich ein Kleid mit einer Tournüre anfertigen lassen. »Es gibt hier eine junge Couturiere, Madame Yvette« hatte Irina ihr geschrieben. »Sie kopiert fabelhaft alle Pariser Modelle, vor allem die von Charles Worth. Aber sie ist nicht gerade billig. Dein Nadelgeld wird höchstens für einen Ärmel reichen.« Also hatte Carla Hanno gefragt. Das war für sie selbstverständlich, wenn sie eine größere Summe ausgeben wollte. »So, so, du kannst deine Schwägerin zwar nicht ausstehen, aber ihre Kleider scheinen dir ja zu gefallen«, hatte Hanno sie geneckt. »Kauf dir, was du willst, mein Mädchen. Mir gefallen sie nämlich auch. Und die Figur dafür hast du dir ja Gott sei Dank erhalten.«
Drei sündhaft teure Modelle hatte Carla bestellt: eins aus mauvefarbenem Taft mit langen Ärmeln, einer kleinen Schleppe und, wie sie fand, einem geradezu verwegenen Dekolleté, dann ein Reitkostüm aus grünem Flanell und ein resedafarbenes Voilekleid.
»Ist es möglich, dass das Voilekleid in vier Wochen fertig ist? Ich hätte es gern zum Geburtstag meiner Nichte auf Troyenfeld?«, fragte sie Madame Yvette.
»Kein Problem«, sagte die Couturiere zuvorkommend. »Der Stoff ist vorrätig, und die Materialien für einige Bestellungen meiner Kundinnen sind noch nicht eingetroffen. In zwei Wochen können Sie zur ersten Anprobe kommen.«
Madame Yvette nahm aufwendig Maß. »Ich werde eine Büste nach diesen Maßen anfertigen«, schlug die Schneiderin vor. »Dann brauchen wir in Zukunft nur noch eine Anprobe bei der Abholung. Monsieur Worth macht das auch so.«
»Ich weiß. Meine Schwägerin, die Gräfin von Troyenfeld, kauft nur bei Worth in Paris ein«, sagte Carla unbeeindruckt. »Er fertigt alles auf ihrer Büste an.«
»Die Frau Baronin darf allerdings ihre Figur nicht verändern«, sagte Madame Yvette streng. »Leider geschieht das doch sehr häufig.«
»Keine Sorge, das wird mir nicht passieren.« Carla lachte, und Irina sagte: »Der Baron hasst dicke Frauen.«
Aber es passierte etwas anderes, das die aufwendige Anfertigung der Büste überflüssig machen sollte.
»Seine Exzellenz erwarten Frau Baronin in der Bibliothek«, sagte Franz, als Carla erhitzt von der Fahrt aus Königsberg – es war heute ein besonders heißer Tag – in Buchenhain ankam.
»In der Bibliothek, bei diesem herrlichen Wetter?«
»Seine Exzellenz haben anscheinend wichtige Post bekommen.«
Post, das kann nicht aus Troyenfeld sein , dachte Carla erleichtert. »Sagen Sie meinem Mann, ich werde mich etwas frisch machen und ihn dann zum Abendbrot im Pavillon sehen.«
»Nein, Frau Baronin, Seine Exzellenz erwarten Sie umgehend.«
»Du wolltest mich sofort sehen, sagte mir Franz. Du hast wichtige Post bekommen? Was ist passiert?«
Hanno saß hinter seinem Schreibtisch. Zu seinen Füßen lag Willi, der sie schwanzwedelnd begrüßte. Hanno hatte verschiedene Papiere vor sich ausgebreitet. »Setz dich bitte«, sagte er ernst. »Ich habe etwas mit dir zu besprechen. Es ist wichtig.«
»Bist du etwa krank?« Carla sank mit zitternden Knien in einen Sessel.
Hanno musste schallend lachen. »Nein, im Gegenteil. Ich bin voller Tatendrang, fühle mich besser denn je.«
»Ja, was ist denn los.« Sie atmete erleichtert auf. »Hat die Post dich so munter
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