Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
einem Kaffeewärmer ähnelte, wirkte Natascha wie eine moderne Statue. Auch Carla empfand ihre Krinoline plötzlich als ungeheuer altmodisch. Hin und wieder hatte sie in der Zeitschrift Gartenlaube das Modell, das Natascha trug, an einer Pariser Schönheit gesehen und es eigentlich scheußlich gefunden. Aber nun, als sie ihre Schwägerin darin sah, fand sie es plötzlich umwerfend.
Als Feodora ihre Tante erblickte, streckte sie ihre kleinen Ärmchen nach ihr aus.
»Komm her, mein Liebling«, rief Carla und nahm sie ihrer Mutter ab.
»Sie war direkt erleichtert, das Kind los zu sein, ist dir das gar nicht aufgefallen?«, fragte sie Hanno am Abend.
»Manchmal glaube ich, du spinnst«, meinte der nur. »Davon habe ich nun wirklich nichts bemerkt.«
Nachdem Feodora von allen bewundert worden war, wurde sie von der Amme abgeholt, und man begab sich zu Tisch. Das Mittagessen verlief harmonisch. Auch Natascha trug ihren Teil dazu bei. Als Horst sie nach ihrem Leben in St. Petersburg fragte, gab sie bereitwillig Auskunft und erzählte von ihrem Vater, der entgegen allen Konventionen lebte. »Er ist ein bisschen verrückt«, sagte sie lächelnd, »aber ich liebe ihn sehr.«
»Und wie sehr musst du erst Leopold lieben«, sagte Lieselotte, die keine Ahnung von den häuslichen Spannungen hatte. »Wenn du seinetwegen nach Ostpreußen gekommen bist. Mein Horst hat sich ganz schön was einfallen lassen, um mich von Berlin herzulocken. Wie gefällt es dir denn überhaupt hier?«
Carla hörte auf zu essen. Für einen Moment herrschte Totenstille.
Natascha schien eine Spur blasser geworden zu sein, als sie ruhig antwortete: »Es ist ein wenig einsam. Aber jetzt ist Leopold ja zurück. Dann wird es sicher erträglicher.«
Carlas und Leopolds Blicke streiften sich kurz, und schon wurde die zwanglose Unterhaltung fortgesetzt.
Das Essen war hervorragend. Emma hatte sich mit ihrer Kochkunst wieder selbst übertroffen. Nach einer köstlichen Suppe gab es Schleie in Dill, dann Kalbsbraten und verschiedene Sorten Wild mit diversen Beilagen und zum Nachtisch Apfeltörtchen. Als Horst sich auch noch das letzte auf der Kuchenplatte verbliebene Stück in den Mund schob, sagte Lieselotte: »Ich hoffe, du hast dein Bullrich-Salz dabei, mein Schatz. Sonst wird das ja mal wieder eine heitere Nacht.«
»Keine Sorge, Lieselotte, davon haben wir reichlich im Haus«, beruhigte Hanno sie und wandte sich dann an Horst. »Iss nur, man sieht dir an, dass es dir schmeckt.«
Carla rollte nur die Augen.
Zur Feier des Tages hatte Leopold einige Flaschen Château Lafite-Rothschild dekantieren lassen. Troyenfeld verfügte über einen exzellenten Weinkeller. Hanno hatte sein Glas erhoben. »Ein Prosit darauf, dass wir den Krieg gewonnen und vor allem dich, meinen lieben Schwager, gesund und unversehrt wieder bei uns haben.«
Alle erhoben ihre Gläser und riefen laut »Prosit«.
Die Unterhaltung wurde immer lebhafter. Leopold wollte wissen, wie die Ernte ausgefallen sei, da er noch keine Gelegenheit hatte, mit seinem Verwalter zu sprechen, und Kölichen berichtete Klatsch aus Insterburg und Umgebung.
»Wir sind alle wahnsinnig gespannt auf deinen Bericht über die Krönung«, sagte Hanno plötzlich zu Leopold. »Vor allem Horst kann es kaum erwarten, davon zu hören.«
»Einiges wisst ihr ja schon aus den Zeitungen«, setzte Leopold an. »Aber was so hinter den Kulissen passiert ist, darüber kann ich euch natürlich einiges berichten.«
Natascha hatte inzwischen die Tafel aufgehoben, und man begab sich in die Bibliothek, wo Alfons für die Herren Cognac und diverse Schnäpse und für die Damen Liköre, Kaffee und Gebäck servierte. Nachdem die Männer ihre Zigarren angesteckt hatten – eine schrecklich umständliche Prozedur, wie Carla fand –, begann Leopold zu erzählen. »Am Abend vor der Krönung herrschte noch völlige Unklarheit, ob diese überhaupt stattfinden würde. Das war eine Aufregung in der Präfektur, kann ich euch sagen.«
»Was war denn los?«, fragte Horst.
»Wilhelm weigerte sich immer noch, sich zum Kaiser krönen zu lassen.«
»Aber warum denn?« Alle sahen Leopold sprachlos an.
»Er wollte nicht den Titel ›Kaiser von Deutschland‹ tragen, aber auch nicht ›Deutscher Kaiser‹ genannt werden. Er meinte, das würden einige deutsche Fürstlichkeiten als Eingriff in ihre Reichsherrlichkeit sehen.« Leopold musste lachen. »Der arme Bismarck. Er hat mit Engelszungen auf Wilhelm eingeredet, sogar in Tränen ist er
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