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Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Titel: Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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ausgebrochen.«
    »Das tut er doch immer«, warf Hanno ein.
    »Jedenfalls hat sich Bismarck dann in den Morgenstunden mit dem Großherzog von Baden besprochen, ihr wisst, er ist Wilhelms Schwager und hat wohl großen Einfluss auf ihn. Der hat ihn jedenfalls dann endlich überredet.« Leopold nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre. »Der Herzog musste den Akt der Ausrufung vollziehen.«
    »Und wie hat er Wilhelm denn nun bei der Ausrufung tituliert?«, fragte Hanno.
    »Er hat sich genial aus der Affäre gezogen, sage ich euch. Einfach genial. ›Seine kaiserliche und königliche Majestät lebe hoch, hoch, hoch‹, hat er gerufen, und wir sind alle eingestimmt.«
    »Doll«, meinte Hanno. »Wirklich doll.«
    »Aber stellt euch vor«, fuhr Leopold fort, »nach der Proklamation ist der Kaiser, ohne Bismarck eines Blickes zu würdigen, zu Moltke gegangen und hat ihm gedankt. Kein Wort der Anerkennung für den Kanzler. Eigentlich ein Affront!«
    »Und wie hat Bismarck das aufgenommen?«, fragte Horst Kölichen.
    »Er hat es ignoriert. Ich glaube, dass er einfach heilfroh war, dass sein Lebenstraum endlich in Erfüllung gegangen ist: die Gründung des Zweiten Deutschen Reiches. Alles andere war ihm egal.«
    Alfons legte Feuerholz nach, dann erzählte Leopold weiter. »Nach der Krönungszeremonie marschierten wir – es waren wohl fünfhundert Offiziere – im Gefolge des neuen Kaisers und Bismarcks durch den Arc de Triomphe die Champs-Élysées hinunter. Alle Geschäfte waren geschlossen, und keine Menschenseele war zu sehen, und auf dem Place de la Concorde waren alle Statuen mit schwarzen Tüchern verhüllt.«
    »Das klingt ja geradezu gespenstisch«, sagte Carla.
    »Das war es auch. Mich hat gefröstelt und meine Kameraden auch.«
    »Welchen Titel trägt denn nun offiziell unser neuer Kaiser?«, fragte Horst. »›Deutscher Kaiser‹ oder ›Kaiser von Deutschland‹?«
    »Ich habe keine Ahnung. Onkel Edwin hat das Bismarck auch gefragt, und wisst ihr, was der geantwortet hat?« Leopold musste lachen. »›Wenn ich wüsste, was Wurst auf Latein heißt, würde ich jetzt auf Latein sagen: Ich wüsste nicht, was mir wurster wäre!‹«
    Nun herrschte allgemeine Heiterkeit. Alle prosteten sich ausgelassen zu, und Hanno rief immer wieder: »Ein Teufelskerl dieser Bismarck. Doll, wirklich doll.«
    Es begann, dunkel zu werden, und Carla drängte zum Aufbruch. »Das Thermometer ist heute Morgen gefallen. Es soll am Abend noch Schnee geben.«
    »Es ist doch so gemütlich«, meinte Lieselotte, die bereits einen ordentlichen Schwips hatte, und Horst und Hanno wollten noch mehr über Paris und die Krönung hören. Aber Carla hatte Alfons bereits gebeten, den Schlitten anspannen zu lassen, und so verabschiedete man sich mit Umarmungen und Schulterklopfen sowie der Versicherung, einander möglichst bald wiederzusehen.
    Als der Besuch den Schlitten bestieg, war es vollständig dunkel geworden. Es hatte zu schneien begonnen, und ein eisiger Ostwind trieb ihnen die Flocken in die Augen. In wenigen Minuten waren die Gesichter steif gefroren, und an eine Unterhaltung war nicht mehr zu denken. Es dauerte nicht lange, und Horst Kölichen und seine Frau begannen, um die Wette zu schnarchen.
    »Wenn ich jemals in Gegenwart anderer solche Geräusche von mir gebe, darfst du mich erschlagen«, flüsterte Carla Hanno zu.
    »Dann müsstest du ja erst mal so dick werden«, flüsterte er zurück, »aber das werde ich nicht zulassen.«
    »Der Wind is mächtig aasig«, rief Kurt über die Schulter nach hinten. »Halten Se Ihnen wat vors Jesicht. Könnte sonst Erfrierungen jeben.«
    Das Pfeifen des Windes übertönte bald die sägenden Geräusche, die die Kölichens von sich gaben, und aus den nahe gelegenen Wäldern drang das Heulen hungriger Wölfe. Carla drückte sich fest an Hanno. Unheimlich war das, geradezu beängstigend.
    »Keine Angst, mein Mädchen. Kurt hat seine Flinte dabei. Es kann nichts passieren«, beruhigte Hanno sie.
    Steif gefroren und mit Schnee bedeckt kamen sie endlich in Buchenhain an.
    »Lasst uns die nassen Sachen ausziehen und noch einen Nachttrunk nehmen«, schlug Hanno vor, nachdem sie sich aus den Felldecken geschält und vom Schnee befreit hatten.
    »Ja«, rief Horst Kölichen, »ein Schlubberchen heißer Grog kann jetzt nicht schaden.«
    In der Bibliothek war es angenehm warm. Franz hatte den ganzen Nachmittag tüchtig eingeheizt. Auf einem Tischstanden eine Kanne dampfender Grog und eine Platte mit Wurst, Schinken,

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