Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
der Jahreszeiten erleben würde, diese elementaren Kräfte der Natur, die Ostpreußenso einmalig machten und die Landschaft zu jeder Jahreszeit so anders aussehen ließen? Wie hatte Hanno gesagt? »Dort, wo wir hingehen, ist es immer warm, auch im Winter.« Sie wusste jetzt schon, dass sie alles hier schmerzlich vermissen würde.
Der Abschied von Troyenfeld war tränenreich. Selbst Feodora fing an zu weinen, als sie ihre Tante so herzzerreißend schluchzen hörte.
»Nun nimm dich mal zusammen«, sagte Hanno. »Du tust ja gerade so, als würden wir für immer auswandern.«
Auch in der Küche flossen Tränen. »Erbarmerche«, rief Emma immer wieder und wischte sich die Augen mit dem Schürzenzipfel. »Erbarmerche, Kindchen. Lass dir man nich fressen von die Wilden.«
»Wie kommst du denn darauf, dass wir unter Wilden leben werden?«, fragte Carla, die Emma beruhigen wollte.
»Dat Fritzchen hat seinen Lehrer jefracht, und der hat jesacht, in Neu… Wie heißt dat man noch?«
»Neuseeland.«
»Nu ja, da jibt et nur Wilde, und die fressen sich jejenseitig uff.«
Carla musste lachen. »So schlimm ist es dort, wo wir hingehen, nun auch wieder nicht. Wir wohnen in einer großen Stadt, Emmachen. Da gibt es eine Universität und sogar eine Zeitung. Glaubst du, dass die Wilden lesen oder gar studieren können?«
Das schien der alten Mamsell einzuleuchten, und ihr Schniefen ließ nach.
»Was macht denn deine Schlaflosigkeit?«, wechselte Carla das Thema.
»Na jeht man so.«
»Also ist es immer noch nicht besser?«
»Nee, nich so richtich.«
»Aber Doktor Grüben war doch hier. Hat er dir nichts gegeben?«
»Doch schon, ein Pulverchen.«
»Ja, und hilft es denn nicht?«
Emma senkte die Stimme. »Ik hab et nich jenommen.«
»Und warum nicht?«
Emmas Stimme war jetzt kaum noch zu verstehen. »Dat Dokterche hat jesacht, dat müsste für mindestens vier Wochen reichen. Kindchen, ik kann doch nich vier Wochen durchschlafen.«
Carla brach in schallendes Gelächter aus. »Aber, Emma, ich habe dieses Pulver auch. Du sollst doch nicht alles auf einmal nehmen, sondern nur abends vor dem Schlafengehen eine Messerspitze voll.«
»Nu, wer ik dann machen.« Sie atmete bekümmert. »Wirst mal von dir hören lassen?«
»Aber natürlich. Ich werde Elfriede schreiben, und die berichtet dir dann.« Emma hatte nie schreiben und lesen gelernt und darauf bestanden, dass ihre Tochter die Dorfschule besuchte.
»Musst all gehen?«, fragte sie erschrocken, als Carla sich erhob.
»Ja, meine gute Alte. Hanno wird sicher schon ungeduldig. Wir reisen ja morgen, und es gibt noch schrecklich viel zu tun. Leb wohl, und pass gut auf dich auf.«
Noch bis zur Halle des Schlosses hörte Carla das klagende »Erbarmerche« der alten Mamsell aus der Küche herüberschallen.
In der Auffahrt von Buchenhain standen fünf große Wagen, voll beladen mit Kisten und Koffern. Berlin hatte Hanno vorgeschlagen, einige Sachen aus dem Hausstand mitzunehmen, da das Konsulat neu eingerichtet und es sicher an gewissen Dingen fehlen würde. So waren Silber, Geschirr, Kristallgläser, Tisch- und Bettwäsche verpackt worden. Auch die großen Kandelaber und der Kristalllüster aus dem Speisesaal und sämtlicher Nippes aus Carlas Boudoir verschwanden in riesigen Kisten. Teppiche wurden eingerollt, und bald sah es auf Buchenhain aus, als würden die Harvichs ihr Heim tatsächlich für immer verlassen.
Die Nerven aller waren angespannt. Als Carla Anweisung gab, die halbe Bibliothek einpacken zu lassen, bekam Hanno einen seiner gefürchteten cholerischen Anfälle. »Bist du von allen guten Geistern verlassen«, brüllte er. »Wenn du so weitermachst, wird unser Schiff noch untergehen.«
»Du verschleppst mich in ein unkultiviertes Land«, brüllte sie zurück. »Also werde ich etwas Kultur mitnehmen.«
Nach einer hitzigen Diskussion einigten sie sich darauf, dass Carla wenigstens ihre Lieblingsbücher einpacken durfte.
Der Tag der Abreise war gekommen. Von Elfriede hatte sich Carla bereits am Vorabend verabschiedet. Sie hatten in ihrem Boudoir bei einer Flasche von Hannos bestem Rotwein gesessen.
»Der wird womöglich schlecht, bis wir wiederkommen«, hatte sie zu Hanno gesagt.
Der hatte nur müde genickt und es vermieden, ihr zu erklären, dass Rotwein mit dem Alter immer besser wurde.
»Du musst mir regelmäßig schreiben, Elfriedchen«, hatte sie immer wieder eindringlich gesagt. »Ich will alleswissen, was auf Troyenfeld passiert. Von Leopold werde
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