Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
»Bei mir hat er übrigens auch sein Glück versucht. Aber ich habe ihn sofort durchschaut.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Vielleicht sollte ich es dir gar nicht sagen, aber es war, als du noch in St. Petersburg warst.«
»Nein, nein«, stammelte Natascha. »Das kann nicht sein, ich kann das nicht glauben.«
»Blick den Tatsachen doch endlich ins Gesicht.« Charlotta wurde jetzt ungehalten. »Weiß eigentlich Leopold davon?«
»Ich glaube, er ahnt etwas. Aber ganz sicher bin ich mir nicht. Als ich die Todesnachricht bekam …« Natascha war kurz davor, in Tränen auszubrechen. »… hatte ich eine Frühgeburt.«
»Aber das Kind lebt doch?«, fragte Charlotta entsetzt.
»Ja, Gott sei Dank! Rüdiger ist mein ganzer Trost. Ich liebe ihn abgöttisch.«
»Soweit ich weiß, habt ihr auch eine kleine Tochter.«
»Ach ja, Feodora.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich kann nicht viel mit ihr anfangen. Sie ist Leopold so ähnlich.« Mit einem Schlag hatte Charlotta kein Mitleid mehr mit der schönen jungen Frau, die verzweifelt vor ihr saß.
»Leopold vergöttert dich, du hast zwei gesunde Kinder. Und du trauerst um einen Scheißkerl, der nichts, aber auch gar nichts wert war!« Sie nahm einen tiefen Zug von ihrem Zigarillo. »Ich gebe dir einen freundschaftlichen Rat. Besinne dich auf deine Pflichten als Frau und Mutter, und vergiss, was gewesen ist. Sonst wirst du niemals deinen inneren Frieden finden. Und noch etwas möchte ich dir sagen. Du solltest Leopold dankbar sein, dass er dich davor bewahrt hat, als gefallenes Mädchen in die Geschichte St. Petersburgs einzugehen.« Sie erhob sich. »Ich muss mich jetzt wirklich ein wenig ausruhen. Der Abend wird lang.« Sie hatte plötzlich keine Lust mehr, mit dieser Frau ihre Zeit zu verbringen. Ihr war klar, dass jedes weitere Wort sinnlos war. Sie machte keinerlei Anstalten, ihr das wunderbare Buch von Tolstoi zu geben.
Noch immer klang das laute Gelächter der Jagdgesellschaft durch das ganze Haus. Natascha war erleichtert, ihr Zimmer leer vorzufinden. Es wäre über ihre Kräfte gegangen,Leopold jetzt Rede und Antwort zu stehen. Sie war außer sich. Was hatte diese Person für Ungeheuerlichkeiten über Pjotr gesagt?! Kein Wort glaubte sie davon! Er hatte sie geliebt, nur sie. Niemand, auch nicht die Fürstin Kropotkin, würde sie jemals von diesem Glauben abbringen. Er war tot, der geliebte Mann, und sie würde wohl oder übel ihr Leben in Ostpreußen beenden müssen. Aber jetzt hatte sie ja Rüdiger. Er würde ihr alles erträglicher machen. »Diese unselige Liebe zu einem Nichtsnutz hat das Glück deiner Mutter und auch deines Vaters zerstört«, sollte viele Jahre später Charlotta einmal zu Feodora sagen.
Bald war klar, dass Emma nie wieder in ihre geliebte Schlossküche zurückkehren konnte. Kein Pülverchen half gegen das Zwicken im Bauch. Nur wenige Monate später war sie tot, und Elfriede nahm ihren Platz in der Troyenfeld’schen Küche ein – ein nahtloser Übergang, der von Natascha kaum wahrgenommen wurde. Auch Elfriedes Mann Kurt war von Buchenhain nach Troyenfeld gewechselt und hatte die Stelle des alten Kutschers übernommen.
Es war an einem eiskalten Wintertag, als Emma zur letzten Ruhe getragen wurde. Für Leopold war es selbstverständlich, an ihrer Beerdigung teilzunehmen. Auf seine zaghafte Bitte, Natascha möge ihn doch begleiten, das sei in der Grafschaft so üblich, hatte sie geradezu empört reagiert. »Verschone mich damit«, hatte sie gesagt. »Ich habe die Frau ja kaum gekannt.«
Obwohl ein eisiger Ostwind blies, der den frisch gefallenen Schnee von den Gräbern aufwirbelte, war der Friedhof des in der Nähe des Schlosses gelegenen Dorfes überfüllt. Jeder kannte Emma Jankuhn und wollte ihr die letzte Ehreerweisen. Als der große, blumengeschmückte Kranz mit einer Schleife, auf der »Schloss Troyenfeld trauert um seine treue Mamsell Emma Jankuhn« stand, neben den Sarg gelegt wurde, ging ein anerkennendes Raunen durch die Menge.
»Die Emma war ja hoch anjesehen im Schloss«, flüsterte eine alte Frau ihrer Nachbarin zu.
»Se war ja och janz intim mit dem Komtesschen und dem Jrafen, als se kleen waren«, antwortete die andere leise.
Nachdem der Pfarrer sein letztes Vaterunser gesprochen hatte, hielt Leopold eine anrührende Rede. »Liebe Leute, lasst mich ein paar Worte des Abschieds sprechen. Über vierzig Jahre war Emma Mamsell auf unserem Schloss. Es fällt mir schwer, mir die Küche ohne ihr liebes
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