Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
endgültig vorbei war.
Während der ganzen Zeit stand Alfons bewegungslos an der Tür. Am liebsten hätte er sich unsichtbar gemacht. Aberkeiner nahm von ihm Notiz. Was redeten die denn da? Eingestürzte Kurse, zahlungsunfähige Banken …, und warum regten der Graf und Herr Kölichen sich so furchtbar auf? Und vor allem: Was hatten die Harvichs damit zu tun, so weit weg am anderen Ende der Welt. Er konnte es nicht erwarten, die Sache mit Elfriede und Kurt zu besprechen, vielleicht hatten die eine Ahnung, was das bedeutete.
Am Abend saßen sie zusammen in der Küche. Aber auch Elfriede und Kurt waren ratlos. Wo sollte das viele Geld von der Bank denn hingekommen sein. Hatte es jemand gestohlen? Zur Beruhigung tranken sie einige Schnäpse und kamen dann zu der Überzeugung, dass das alles nicht so schlimm sein könne. Börse, einstürzende Kurse, Banken, die kein Geld mehr haben sollten – das war zu abstrakt für sie, einfach unverständlich. Leicht beschubbert gingen sie zu Bett, aber alle hatten in dieser Nacht einen unruhigen Schlaf.
Als Leopold am nächsten Vormittag zu seiner Königsberger Bank kam, waren die Schalter geschlossen. Vor dem Gebäude protestierte eine aufgebrachte Menge und schrie laut ihre hilflose Wut heraus. Leopold war schlagartig klar, dass es sinnlos war, überhaupt aus der Kutsche auszusteigen. Er war wie betäubt. »Bring mich in den Club«, wies er Kurt an. Was er jetzt brauchte, war ein großes Glas Cognac!
Auf dem Weg durch die Stadt sah man überall Grüppchen von laut diskutierenden Menschen. Gesprächsfetzen wie »Mein ganzes Vermögen ist weg …«, »Wie konnte so was bloß passieren …« oder »Man muss doch etwas unternehmen können …« drangen an Leopolds Ohr. Im Club, sonst ein Ort voller Leben, herrschte eine gedrückte Stimmung. In der Halle saßen einige Herren, die leise das Entsetzlichediskutierten. Jeder schien von diesem Ereignis betroffen zu sein. An der Bar traf Leopold seinen Freund Götz von Orlov, der ein großes Glas Cognac vor sich stehen hatte und daneben die halb leere Flasche. »Du siehst aus, als könntest du auch einen Schluck gebrauchen«, sagte er und schob Leopold ein volles Glas hinüber. »Seit wann weißt du es?«
»Kölichen kam gestern Nachmittag nach Troyenfeld. Ich hatte die Zeitung noch nicht gelesen …«
»Und warst du schon bei deiner Bank?«
»Ja, eben, die Schalter sind geschlossen.«
»Vor Wochen hat Kölichen mich schon gewarnt«, sagte Orlov. »Widerstrebend habe ich einige Beteiligungen verkauft, nur weil Marisa mich so gedrängt hat. Aber leider eben nicht alle.«
»Bei mir war er auch.« Leopold nahm einen großen Schluck. »Und meine Frau hat mich leider nicht gedrängt.« Er lachte unfroh. »Geld hat man, aber man redet nicht darüber. Also habe ich nichts verkauft und ihm auch noch abgeraten, Hannos Papiere abzustoßen.« Er schüttelte verzweifelt den Kopf. »Was war ich doch für ein Idiot!«
Die Bar wurde immer voller, und alle redeten nur über ein Thema: den Zusammenbruch der Börse.
»Kurbjeweit hat sich erschossen.« In der Tür stand Kölichen. Er sah um Jahre gealtert aus.
Für einen Moment war es in dem Raum totenstill. Dann redeten alle aufgeregt durcheinander. »Um Gottes willen, seine arme Frau!«, rief jemand betroffen.
»Wie schrecklich, die sechs kleinen Kinder«, sagte ein anderer. Das Drama bekam plötzlich noch ein anderes Gesicht!
»Ich werde Land verkaufen müssen«, sagte Leopold zu Orlov. »Ich habe große Verpflichtungen.« Mit Schrecken dachte er an die horrende Rechnung von Charles Worth, die gerade begonnenen aufwendigen Verschönerungsarbeiten am Schloss und den geplanten Sommerurlaub in Zoppot.
»Glaubst du im Ernst, es gibt in diesen Zeiten jemanden, der Land kauft?« Sein Freund sah ihn ungläubig an. »Das wage ich zu bezweifeln.«
Kölichen trat jetzt zu ihnen. »Ich habe dich hier vermutet, Leopold«, sagte er. »Hast du bei deiner Bank noch etwas erreichen können?«
»Nein, kurz bevor ich dort ankam, wurden die Schalter geschlossen.«
»Ich habe es befürchtet. Die Katastrophe ist noch schlimmer, als die größten Pessimisten vorausgesagt haben.« Mit fahrigen Bewegungen steckte sich Kölichen eine Zigarre an. »Hannos Vermögen ist auch weg. Hätte ich doch bloß eigenmächtig entschieden! Ich weiß nicht, wie ich es ihm beibringen soll.«
»Du hast deine Pflicht getan, lieber Horst«, versuchte Leopold ihn zu beruhigen. »Wenn jemand Schuld hat, dann bin ich es. Ich werde ihm
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