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Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Titel: Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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erfahren. Überhaupt waren Geografie und Geschichte ihre Lieblingsfächer, während die Bemühungen der Gouvernante, sie für Sticken, Häkeln und sonstige damenhafte Beschäftigungen zu begeistern, nicht sehr erfolgreich waren.
    Julia von Pulkendorf, nun schon fast drei Jahre Gouvernante der Kinder, war von Troyenfeld nicht mehr wegzudenken. Beiläufig hatte sie erwähnt, dass ihre Mutter eine entfernte Cousine der Kaiserin sei, nicht aber, dass diese seit der Familientragödie eine monatliche Zuwendung ihrer kaiserlichen Verwandtschaft erhielt. »Sie lebt in einem Damenstiftin Königsberg, und ich würde sie gern ab und an besuchen«, hatte sie Leopold gebeten.
    Selbstverständlich wurde ihr das gewährt, und wenn sie von ihren Besuchen zurückkam, unterhielt sie die Gesellschaft mit harmlosen Tratschgeschichten. »Können Sie sich vorstellen, die Kaiserin kann Bismarck nicht leiden. Neulich hat sie meiner Mutter geschrieben, sie belausche immer im Alten Palais von ihrem Schlafzimmer aus mit einem langen Hörrohr die Konferenzen des Kaisers mit Bismarck. Das Arbeitszimmer ist direkt neben ihrem Schlafgemach.«
    Das interessierte sogar Natascha. »Und was erfährt sie da so?«
    »Im Moment ist sie empört über Bismarcks Idee, eine allgemeine Krankenversicherung einzuführen. Sie hat vor, ihrem Mann das auszureden.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einen so großen Einfluss auf den Kaiser hat«, sagte Leopold.
    »Na hoffentlich nicht«, erwiderte die Gouvernante. »Meine Tante ist reichlich alt und gegen jeden Fortschritt. Ich finde das fabelhaft, was Bismarck macht.« Sie lachte. »Die Antipathie ist übrigens gegenseitig, er nennt sie eine alte Fregatte.«
    Ein anderes Mal berichtete sie: »Demnächst feiern der Kaiser und die Kaiserin goldene Hochzeit. Meine Mutter ist zu den Feierlichkeiten im Jagdschloss Hubertusstock eingeladen. Aber leider wird sie absagen müssen. Sie fühlt sich nicht in der Lage zu reisen.«
    Das wurde allgemein bedauert. Sicher hätte Fräulein von Pulkendorf wieder amüsante Geschichten darüber zu berichten gehabt.
    Feodora liebte ihre Gouvernante. Sie vertraute ihr all ihre kleinen Geheimnisse an, und immer, wenn sie in Geografie ein neues Land kennenlernte, rief sie begeistert: »Wenn ich groß bin, Julchen, dann will ich dahin reisen. Nur reisen will ich.«
    »Wenn du groß bist, Fedachen, wirst du heiraten und Kinder bekommen«, war zunächst die Antwort von Fräulein von Pulkendorf. Sie war schließlich dafür da, das Kind auf sein späteres Leben vorzubereiten.
    Aber Feodora wurde dann immer wütend. »Das will ich aber nicht. Das weißt du doch!«
    Fräulein von Pulkendorf unterließ es bald, Feodora klarzumachen, dass Heiraten und dem Manne untertan zu sein nun einmal das Schicksal der Frauen ihrer Zeit war. Solang es Träume gibt … , dachte sie dann jedoch immer. Feodora erinnerte sie nur zu gut an sie selbst. Auch sie hatte aufmüpfige Ideen gehabt, als sie jung und das Vermögen der Familie noch nicht verspielt war. Ihre Brüder studierten, und sie hatte den Wunsch geäußert, einen Beruf zu erlernen. Ihre Eltern waren entsetzt gewesen. »Das Kind ist wohl total verrückt geworden«, hatte ihr Vater getobt und den Hausarzt, Medizinalrat Doktor von Scheyern, zu Rate gezogen.
    »Frauen haben im Gegensatz zu Männern eine zarte Gesundheit …«, dozierte der in Gegenwart von Julia, »… und durch ihre monatlich wiederkehrende Behinderung eine starke Anfälligkeit. Ein Studium halte ich für absolut unangebracht.«
    Ihr Vater fühlte sich in seiner Meinung bestätigt. Er war überzeugt, seine Tochter litte außerdem an geistiger Verwirrung. »Ein Studium setzt Reife voraus, und Reife bei Frauenist nicht wesensgemäß. Du wirst dich also standesgemäß verheiraten, und damit basta!«
    Von ihrer Mutter hatte Julia keine Hilfe zu erwarten. »Wie kommst du nur auf solche absurden Ideen«, sagte sie immer wieder. »Frauen sind dazu da, zu heiraten, ihren Männern zu dienen und Kinder großzuziehen.« Wohin das führte, lebte ihre Mutter ihr vor. Sie durfte keine eigene Meinung haben und verleugnete sich bis zur Selbstaufgabe, was hin und wieder zu hysterischen Zuständen führte. Dann wurde sie zur Kur geschickt, was eine kurze Besserung brachte. Und alles ging wieder von vorne los.
    Als das Vermögen und auch ihre Mitgift verspielt waren, verweigerte Julia eine Ehe mit einem wesentlich älteren Mann. Kurz darauf erschoss sich ihr Vater. Sie war frei und nahm ihr Leben

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