Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
drei Tage Bettruhe und mittags und abends eine kräftige Brühe, mehr kann man in solchen Fällen nicht tun.«
Es hatte heftig zu regnen begonnen. »Willst du nicht mit uns essen und abwarten, bis sich das Wetter beruhigt?«, schlug Leopold seinem Freund vor. »Wenn du jetzt reitest, wirst du dir den Tod holen, und das kann ich nicht zulassen.«
Ein wenig später begab man sich gemeinsam zu Tisch. Die Unterhaltung beim Essen war äußerst lebhaft. Der neue Hauslehrer Herr Kranz, ein Medizinstudent im ersten Semester, war entzückt, mit Doktor Grüben über seinen angestrebten Beruf zu plaudern, und Fräulein von Pulkendorf sprach wieder begeistert über Bismarck und seine geplanten Reformen. Auch Natascha beteiligte sich lebhaft an der Unterhaltung. Man merkte ihr die Erleichterung über Grübens Diagnose an. Sie lebte in ständiger Angst, Rüdiger könnte etwas zustoßen.
»Ich werde mich jetzt auf den Heimweg machen und euch dem Whistspiel überlassen«, sagte Grüben, als es aufgehört hatte zu regnen. »Marike bekommt mich ja kaum noch zu sehen. Drückt mir die Daumen, dass ich nicht im Modder stecken bleibe.«
»Willst du nicht doch lieber über Nacht …?« Leopold hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als Alfonsklopfte. »Eine Depesche für die Frau Gräfin … aus St. Petersburg.«
Niemand sprach, während Natascha mit zitternden Händen den Umschlag öffnete. Ihr blasses Gesicht verlor den Rest Farbe. »Mein Vater … Väterchen … hatte einen Herzanfall. Man rät mir dringend, nach St. Petersburg zu kommen.«
»Wir können morgen reisen, wenn du willst. Ich werde dich selbstverständlich begleiten.« Leopold legte den Arm um ihre Schultern. »Reg dich nicht auf, Liebes. Es wird schon nicht so schlimm sein.«
»Aber Rüdiger … er ist krank, ich kann ihn in seinem Zustand doch nicht allein lassen.«
»Er ist in keinem ›Zustand‹«, mischte Doktor Grüben sich ein. »Er hat eine leichte Erkältung. Else ist mit vielen Geschwistern groß geworden, da war immer einer krank. Sie hat also mit so etwas Erfahrung und wird sich rührend um euren Sohn kümmern. Und ich werde, wenn dich das beruhigt, täglich nach ihm sehen. Wenn ihr zurück seid, ist er wieder wie neu.«
»Gut, ich werde Olga Anweisung geben, sofort zu packen«, willigte Natascha ein.
»Nimm dieses Pulver, es wird dir zu einer ruhigen Nacht verhelfen«, sagte Grüben, bevor er sich verabschiedete. »Die Reise wird anstrengend werden.«
An ein Kartenspiel dachte an diesem Abend niemand mehr. Es entstand eine hektische Betriebsamkeit. Kurt wurde aus dem Bett geholt und von Leopold angewiesen, die sechsspännige Kutsche reisefertig zu machen. »Wir brechen im Morgengrauen auf. Nimm die schnellsten Pferde, und pack genügend Felldecken und Plaids ein, es kann noch empfindlich kalt werden.«
Bevor Kurt sich an die Arbeit machte, fragte er: »Wann, denken der Herr Jraf, werden wir zurück sein?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Leopold, »aber ich denke, falls der Fürst wieder wohlauf ist, bleiben wir nicht allzu lange. Es kommt auch auf die Straßenverhältnisse an. Du weißt, es ist Tauwetter …«
Kurt war so schlau wie vorher.
»Ach noch etwas, Kurt«, rief Leopold ihm nach, als er sich zum Gehen wandte, »nimm einen zweiten Kutscher mit. Ihr müsst euch beim Fahren abwechseln. Wir wollen so wenig Station wie möglich machen.«
Kaum einer im Schloss machte in dieser Nacht ein Auge zu. Es herrschte große Unruhe. Diener riefen Lakaien Befehle zu, Kleiderkisten wurden durch die Gänge geschleift und auf der großen Kutsche verstaut, und in der Küche war Elfriede mit einer Schar Küchenmädchen damit beschäftigt, Körbe mit Essen und Getränken zu füllen. »Erbarmerche«, rief sie immer wieder, »kann einem sowat nich früher jesacht werden.«
Auch für Kurt und seinen Gehilfen wurde Proviant eingepackt. »Zieh dir bloß warm an, Kurtchen«, ermahnte Elfriede ihren Mann. »Ik will dir jesund wiederhaben. Und sauf nich so ville bei die Kosaken.« Die ständig betrunkenen Bediensteten des russischen Fürsten waren ihr noch in guter Erinnerung.
Völlig übernächtigt bestieg Natascha am nächsten Morgen die Kutsche. Die ganze Nacht hatte sie an Rüdigers Bett gewacht, die heiße Stirn gekühlt und ihn wieder zugedeckt, wenn er sich unruhig hin und her wälzte. Gegen Morgen wurde er ruhiger, und auch das Fieber schien gesunken zu sein. Rüdiger schlief fest, als sie sich von ihm verabschiedenwollte. Sie weckte ihn nicht. »Bis
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