Solange am Himmel Sterne stehen
schwimmen.
29
Annie bemerkt es als Erste.
»Mom!«, zischelt sie und zupft mich aufgeregt am Ärmel, während ich zusehe, wie sich Jacob über Mamie neigt und ihr auf Französisch etwas zuflüstert. Wir sind vor einer Stunde im Krankenhaus angekommen, und seit diesem Augenblick sitzt Jacob ganz nah bei ihr.
»Was denn, Schatz?«, frage ich, außerstande, mich von der Szene loszureißen, die mir so sinnlos und traurig erscheint.
»Sie bewegt sich, Mom!«, sagt Annie. »Mamie bewegt sich!«
Erschrocken stelle ich fest, dass sie recht hat. Ich sehe ehrfürchtig zu, wie Mamies linke Hand leicht zuckt und sich um Jacobs schließt. Er flüstert ihr noch immer zu, eindringlicher jetzt.
»Ist sie …?«, beginnt Alain, aber seine Stimme verliert sich, während er auf Mamie starrt.
»Sie wacht auf«, flüstert Gavin neben mir.
Wir alle sehen zu, wie ihre Augenlider zu flattern beginnen und sich dann, es ist unglaublich, öffnen. Ich weiß, dass einer von uns einen Arzt oder eine Schwester holen sollte, aber ich stehe wie angewurzelt da, außerstande, mich zu bewegen.
Sie atmet laut aus, wie jemand, der lange Zeit die Luft angehalten hat, und ihre Augen huschen rasch durchs Zimmer, bis sie auf Jacob zu ruhen kommen und sich weiten. Sie sagt irgendetwas Unverständliches, mit einer Stimme, die nicht wie ihre eigene klingt. Es ist, als versuche sie sich zu erinnern, wie sie ihren Mund benutzen soll.
»Meine Rose«, sagt Jacob, »ich habe dich gefunden.«
Sie bewegt für einen Moment die Lippen, gibt noch ein stöhnendes Geräusch von sich und sagt dann: »Du … hier«, mit einer Stimme, die krächzend und heiser, aber unverkennbar ihre ist. Sie starrt zu Jacob hoch, der jetzt weint, während er sich hinunterbeugt und meine Großmutter einmal leicht auf die Lippen küsst.
»Ja, ich bin hier, Rose«, murmelt er. Sie starren sich an, vertiefen sich ineinander.
»Wir …« Mamies Stimme verliert sich, und sie versucht es erneut. »Wir … im Himmel?« Ihre Worte kommen langsam, wie Melasse, aber sie scheint entschlossen zu sprechen.
Jacob holt schaudernd Luft. »Nein, meine Liebe. Wir sind am Cape Cod.«
Mamie blickt einen Moment verwirrt, und dann suchen ihre trüben Augen den Raum ab. Ihr Blick fällt erst auf mich, dann auf Annie und Gavin und schließlich auf ihren Bruder. »Alain?«, flüstert sie.
»Ja«, sagt er schlicht. »Ja, Rose. Ich bin es.«
Sie sieht in fassungslosem Unglauben zurück zu Jacob. »Alain … am Leben? Du, Jacob … du bist am Leben?«, flüstert sie ihm zu.
»Ja, meine Liebe«, sagt Jacob. »Du hast mich gerettet.«
Mamies Augen füllen sich mit Tränen, die ihr gleich darauf in Strömen über die Wangen fließen. »Ich habe dich nicht … ich habe dich nicht gerettet«, flüstert sie. »Wie kannst du sagen, dass …?« Sie hält kurz inne, holt schaudernd Luft. »Ich habe dich gebeten … noch einmal zurückzugehen. Es ist … meine Schuld.«
»Nein«, widerspricht Jacob sanft. »Nichts von alledem war deine Schuld, liebe Rose. Ich habe überlebt, weil ich immer daran geglaubt habe, dass ich dich wiedersehen würde. Du warst es, die mich, seit siebzig Jahren jetzt, am Leben erhalten hat. Ich habe nie aufgehört, nach dir zu suchen.«
Sie starrt ihn noch immer an.
»Jemand sollte den Arzt holen«, flüstert Gavin neben mir.
»Mmm«, antworte ich unbestimmt. Aber keiner von uns setzt sich in Bewegung.
Einen Augenblick später dreht Mamie den Kopf leicht zur Seite, bis ihr Blick auf mir zu ruhen kommt. »Hope?«
»Ja, Mamie.« Ich trete einen Schritt vor.
»Warum … weinst du?«, fragt sie stockend.
»Weil …« Ich kann es mir selbst nicht erklären. »Weil ich dich so vermisst habe«, sage ich schließlich, während ich gleichzeitig begreife, wie wahr die Worte sind.
Sie sieht zurück zu Jacob. »Wie …?«, fragt sie.
Er nickt, versteht sie. »Hope hat mich gefunden«, sagt er. »Hope und Annie und ihr Freund Gavin.«
»Gavin?«, fragt sie. Sie sieht mit etwas Mühe wieder zu uns hinüber, und dann mustert sie verwirrt Gavins Gesicht. »Gavin wer? Sie?«
»Ja, Ma’am«, erwidert Gavin. »Wir sind uns ein paarmal begegnet. Ich bin ein Handwerker aus der Gegend. Ich bin … ich bin mit Ihrer Enkeltochter befreundet.«
»Ja«, murmelt Mamie. »Ja, jetzt weiß ich es.« Sie schließt für einen Moment die Augen, und als sie sie wieder aufschlägt, starrt sie Jacob lange an, bevor sie wieder zu mir zurücksieht.
»Wie … wie hast du meinen Jacob gefunden?«, flüstert
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