Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
Vom Netzwerk:
»Wir geben sie nicht heraus.«
    »Nein, nein, das habe ich nicht gemeint«, beeile ich mich zu sagen. »Es ist nur so, ich habe eine Bäckerei in Amerika, in Massachusetts, und ich mache genau dieselben Sachen. Diese ganzen Rezepte, von denen ich immer dachte, es seien die Familienrezepte meiner Großmutter …«
    Das Misstrauen schwindet aus ihrer Miene, und sie lächelt. »Ah. Ihre Großmutter, ist sie Polin?«
    »Nein, sie ist von hier. Aus Paris.«
    Die Frau legt den Kopf auf die Seite. »Aber ihre Eltern sind aus Polen, oder?« Sie beißt sich auf die Lippe. »Diese Bäckerei wurde kurz nach dem Krieg von meinen Urgroßeltern eröffnet. 1947. Sie stammten aus Polen. Diese Rezepte sind stark osteuropäisch beeinflusst.«
    Ich nicke langsam.
    »Alles, was wir backen, wurde in der tradition ashkénaze meiner Familie entwickelt. Wir halten uns bis heute an diese Traditionen. Ihre Großmutter, ist sie juive ? Äh, jüdisch?«
    Ich nicke langsam. »Ja, ich glaube schon. Aber was ist diese tradition ash … was Sie da gesagt haben?«
    »Das ist, wie sagt man, le judaïsme traditionnel in Europa«, erklärt sie. »Er begann in Deutschland, aber vor hunderten von Jahren zogen diese juifs in andere Länder Europas weiter im Osten. Vor dem Krieg waren die meisten communautés juives , äh, Gemeinden von juifs , in Europa ashkénaze , wie meine Urgroßeltern. Bevor Hitler sie vernichtet hat.«
    Ich nicke langsam und betrachte wieder die Gebäckstücke. »Meine Großmutter hat uns immer erzählt, ihre Familie hätte hier in Paris eine Bäckerei gehabt«, sage ich leise. »Vor dem Krieg.« Ich sehe mich um, und mir wird bewusst, wie viele von Mamies Lieblingskuchen fehlen. »Haben Sie auch Pistazienkuchen?«, frage ich.
    Sie schüttelt den Kopf, sieht mich verständnislos an, und ich beginne, ihr Mamies süße Halbmonde und ihre Mandel-Rosen-Törtchen zu beschreiben. Wieder schüttelt die Frau den Kopf. »Die kommen mir nicht bekannt vor.« Sie sieht sich um, scheint auf einmal zu bemerken, wie voll der Laden ist. »Es tut mir leid«, sagt sie. »Ich muss jetzt weiterarbeiten. Es sei denn, Sie wollen ein Teilchen.«
    Ich nicke und deute auf ein Stück Ronde des Pavés. Ich weiß schon jetzt, dass es genau wie unsere Sterntörtchen schmecken wird. »Ich hätte gern eines davon«, sage ich.
    Sie nickt, wickelt es in Wachspapier und legt es für mich in eine kleine weiße Bäckereitüte. »Das geht aufs Haus«, sagt sie, während sie mir die Tüte lächelnd reicht. »Vielleicht werden Sie mir ja auch ein Teilchen schenken, wenn ich einmal nach Massachusetts komme.«
    Ich erwidere ihr Lächeln. »Danke. Und vielen Dank für Ihre Auskünfte.«
    Sie nickt und wendet sich ab. Ich bin schon auf dem Weg zur Tür, als ich sie rufen höre: »Madame?«
    Ich drehe mich noch einmal um.
    »Diese anderen Dinge, die Sie erwähnt haben«, sagt sie. »Ich glaube nicht, dass sie zur osteuropäischen tradition ashkénaze gehören.« Sie winkt kurz und verschwindet dann in einem Gedränge wartender Kunden. Ich lege die Stirn in Falten und starre ihr verwirrt nach.
    Ich esse mein Ronde des Pavés, während ich meine Schritte zurück zu der Adresse lenke, die Monsieur Berr mir gegeben hat. Es schmeckt nicht ganz so wie unsere Sterntörtchen, aber auf jeden Fall sehr ähnlich. Die, die ich backe, enthalten mehr Zimt – Mamie hat immer für Zimt geschwärmt –, und unsere Kruste ist ein bisschen fester und buttriger. Die Rosinen in dem Ronde sind goldgelb, während ich traditionelle dunkle Rosinen verwende. Aber es ist offensichtlich, dass die Rezepte denselben Ursprung haben.
    Ich bin mit dem Teilchen fertig, aber nicht mit meinen wirbelnden Fragen, als ich wieder zu Alains Tür komme. Ich hole einmal tief Luft und schließe für einen Moment die Augen. Dabei mache ich mich auf das Gefühl von Enttäuschung gefasst, das mich zweifellos durchströmen wird, wenn er nicht öffnet. Ich schlage die Augen wieder auf und drücke auf die Klingel.
    Zuerst schlägt mir nur Stille entgegen. Ich klingele noch einmal, und ich will mich eben schon abwenden, als auf einmal ein Knistern und eine gedämpfte männliche Stimme zu hören sind.
    »Hallo!«, brülle ich fast in die Sprechanlage. Auf einmal hämmert mein Herz. »Ich bin auf der Suche nach Alain Picard.«
    Eine Pause tritt ein, und dann höre ich noch mehr Knistern und wieder die gedämpfte männliche Stimme.
    »Es tut mir leid, ich kann Sie nicht verstehen«, sage ich. »Ich … ich versuche, Alain

Weitere Kostenlose Bücher