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Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
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suchen, die wir verloren hatten.«
    »Und du bist dorthin gegangen?«, frage ich.
    Er nickt. »Ich wurde nie deportiert«, sagt er leise. »Nach dem Krieg bin ich zum Hôtel Lutetia gegangen, um meine Familie zu finden. Ich wollte so unbedingt glauben, dass sie überlebt hatten, Hope. Wenn man dort ankam, heftete man die Namen der Familienangehörigen an ein Brett. › Ich suche nach Cécile Picard, Mutter. Einundvierzig Jahre alt. Verhaftet am 16. Juli 1942. Ins Vel’ d’Hiv gebracht. ‹ Dann kamen Leute und erzählten einem: ›Ich habe deine Mutter in Auschwitz gekannt. Sie ist in ihrem dritten Monat dort an Lungenentzündung gestorben.‹ Oder: ›Ich habe mit deinem Vater in Auschwitz im Krematorium gearbeitet. Er wurde krank und in die Gaskammer geschickt, kurz vor der Befreiung des Lagers.«
    Ich starre ihn an. »Du hast herausgefunden, dass sie alle umgekommen sind.«
    »Alle«, flüstert Alain. »Großeltern, Cousins und Cousinen, Tanten, Onkel. Rose war ebenfalls als tot aufgeführt. Zwei Leute haben geschworen, sie hätten gesehen, wie sie bei der Razzia auf offener Straße erschossen wurde. Ich bin weggegangen, ohne meinen Namen zu hinterlassen, da es niemanden mehr gab, der mich hätte finden können. Das glaubte ich zumindest. Das ist der Grund, weshalb es keine Unterlagen über mich gibt. Ich wollte nur noch verschwinden.«
    »Wie hast du es denn geschafft, der Verhaftung zu entgehen?«
    »Ich war elf Jahre alt, als sie kamen, um uns abzuholen. Meine Eltern glaubten nicht an die ganzen Gerüchte, die wir hörten. Aber Rose schon. Sie konnte meine Eltern nicht überzeugen. Sie hielten sie für verrückt und für eine Närrin, den Prophezeiungen Jacobs Glauben zu schenken, der in ihren Augen ein junger Rebell war, der von nichts Ahnung hatte.«
    Da war er wieder. Dieser Name. »Du hast mir noch gar nicht gesagt, wer Jacob ist.«
    Alain forscht einen Augenblick lang in meinem Gesicht. »Jacob war alles«, sagt er schlicht. »Es war Jacob, der mir sagte, ich solle weglaufen, wenn die Polizei kommt. Es war Jacob, der mir sagte, ich solle versuchen, meine Familie zu überzeugen. Und es war Jacob, der mich gerettet hat, denn als wir von der Polizei abgeholt wurden, kletterte ich aus dem Hinterfenster, fiel drei Stockwerke tief auf die Erde und rannte davon.«
    Er sieht lange Zeit auf seine Hände. Sie sind knotig und vernarbt. Schließlich holt er einmal tief Luft und fährt fort. »Ich habe meine Familie sterben lassen, da ich Angst hatte«, sagt er. Als er zu mir aufsieht, hat er Tränen in den Augen. »Ich habe mich nicht genug bemüht, sie zu überzeugen. Ich habe Danielle und David, die beiden jüngsten, nicht mitgenommen. Ich hatte Angst, schreckliche Angst, und deshalb sind sie alle nicht mehr da.«
    Eine Träne rinnt ihm über die Wange. Bevor ich überlegen kann, was ich tue, bin ich schon bei ihm, um ihn zu umarmen. Er versteift sich für einen Moment, und dann spüre ich seine Arme um meine Schultern. Er zittert am ganzen Körper. »Du warst elf«, murmele ich. »Dich trifft keine Schuld.«
    Ich löse mich von ihm, und er seufzt auf. »Egal, wer die Schuld trägt, meine ganze Familie wurde ermordet, und ich bin noch immer hier, siebzig Jahre später. Das habe ich mein Leben lang mit mir herumgeschleppt. Und es lastet schwer auf meinem Herzen.«
    Ich kann Tränen in meinen eigenen Augen spüren, als ich wieder Platz nehme. »Aber woher wusste es dieser Jacob? Woher wusste er, dass er dir sagen musste, du solltest weglaufen?«
    »Er gehörte einer Untergrundbewegung gegen die Nazis an«, sagt Alain. »Er hat den Gerüchten über die Todeslager geglaubt. Er hat geglaubt, dass wir systematisch vernichtet wurden. Er war in der Minderheit. Aber Rose hat ihm geglaubt. Und Jacob war mein Held, daher habe ich ihm auch geglaubt. Er muss sie gerettet haben.«
    »Wie denn?«, frage ich leise.
    Alain sieht mich lange an. »Ich weiß es nicht. Aber sie war seine große Liebe. Er hätte alles getan, um sie zu schützen. Alles.«
    Ich blinzele. »Hat sie ihn denn auch geliebt?«
    Er nickt. »Mit einer Kraft, von der ich gar nicht wusste, dass sie in ihr steckte«, sagt er. Er sieht lange Zeit in die Ferne. »Deswegen war ich all die Jahre immer so fest überzeugt, dass sie gestorben ist. Denn ich wusste, wenn sie überlebt hätte, dann wäre sie zurückgekommen, um ihn zu finden.«
    »Und sie muss davon ausgegangen sein, dass er tot ist«, murmele ich. »Stand sein Name denn im Hôtel Lutetia?«
    Alain blickt

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