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Solange es hell ist

Solange es hell ist

Titel: Solange es hell ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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der fröhlichen Unterhaltung zu beteiligen, den Blick unverwandt auf die hinreißende nordische Blondheit des jungen Mädchens geheftet.
    »Ist der Schnee nicht toll?«, rief Johnnie und trat ans Fenster. »Richtiges Weihnachtswetter! Kommt, wir machen eine Schneeballschlacht. Es ist doch noch viel Zeit bis zum Essen, nicht wahr, Tante Emily?«
    »Aber ja. Wir speisen erst um zwei Uhr. Dabei fällt mir ein, dass ich mich noch um den Tisch kümmern muss.«
    Sie eilte aus dem Zimmer.
    »Wisst ihr was? Wir bauen einen Schneemann!«, kreischte Jean.
    »Au ja, das wird lustig! Wir machen eine Schneeskulptur von Monsieur Poirot! Haben Sie gehört, Monsieur Poirot? Eine Statue des Meisterdetektivs Hercule Poirot, aus Schnee geformt von sechs berühmten Künstlern!«
    Der kleine Mann im Sessel verbeugte sich verbindlich und zwinkerte verschmitzt.
    »Aber sie muss sehr stattlich werden, mes enfants«, sagte er mit Nachdruck. »Ich bestehe darauf.«
    »Und ob!«
    Die ganze Bande lief wie ein Wirbelwind hinaus, wobei sie unter der Tür mit einem würdevollen Butler kollidierte, der soeben mit einem Brief auf einem silbernen Tablett eintrat. Nachdem der Butler seine Fassung wiedergewonnen hatte, ging er auf Poirot zu.
    Poirot nahm den Brief entgegen und riss ihn auf. Der Butler zog sich zurück. Zweimal las der kleine Mann den Brief, faltete ihn dann zusammen und steckte ihn ein. In seinem Gesicht hatte sich kein Muskel bewegt, obgleich der Inhalt des Schreibens höchst erstaunlich war. Mit ungelenker Hand waren die Worte gekritzelt: »Essen Sie keinen Plumpu d ding.«
    »Sehr interessant«, murmelte Poirot bei sich. »Und völlig unerwartet.«
    Er sah hinüber zum Kamin. Evelyn Haworth war nicht mit den anderen hinausgegangen. Sie starrte, in Gedanken versunken, ins Feuer und spielte nervös an dem Ring am vierten Finger ihrer linken Hand herum.
    »Sie sind in einen Traum vertieft, Mademoiselle«, sagte der kleine Mann schließlich. »Und der Traum ist kein glücklicher, habe ich Recht?«
    Sie zuckte zusammen und sah unsicher zu ihm hinüber. Er nickte aufmunternd.
    »Es gehört zu meinem Beruf, dergleichen zu wissen. Nein, Sie sind nicht glücklich. Auch ich bin nicht sehr glücklich. Wollen wir uns einander anvertrauen? Sehen Sie, ich habe einen großen Kummer, denn ein Freund von mir, ein Freund seit vielen Jahren, ist fortgegangen über das Meer nach Südamerika. Manchmal, wenn wir zusammen waren, machte mich dieser Freund ungeduldig, seine Stupidität brachte mich auf; aber nun, da er fort ist, erinnere ich mich nur an seine guten Eigenschaften. So ist das Leben, habe ich Recht? Und nun, Mademoiselle, was ist Ihr Problem? Sie sind nicht wie ich, alt und allein – Sie sind jung und sehr schön; und der Mann, den Sie lieben, liebt Sie. O ja, ganz gewiss. Ich habe ihn während der letzten halben Stunde beobachtet.«
    Das junge Mädchen errötete.
    »Sprechen Sie von Roger Endicott? Oh, Sie irren sich. Roger ist nicht mein Verlobter.«
    »Nein, Sie sind mit Mister Oscar Levering verlobt. Ich weiß das sehr wohl. Aber warum sind Sie mit ihm verlobt, wenn Sie einen anderen Mann lieben?«
    Das junge Mädchen schien ihm die Frage nicht zu verübeln; etwas in seiner Art machte es ihr unmöglich. Er sprach mit einer Mischung aus Güte und Autorität, die unwiderstehlich war.
    »Erzählen Sie mir alles«, sagte Poirot sanft; und er fügte den Satz hinzu, den er schon zuvor benutzt hatte und der für das junge Mädchen seltsam tröstlich klang. »Es gehört zu meinem Beruf, dergleichen zu wissen.«
    »Ich bin ja so unglücklich, Monsieur Poirot – so schrecklich unglücklich. Wissen Sie, wir waren früher sehr wohlhabend. Ich galt als reiche Erbin, und Roger war nur ein jüngerer Sohn; und – und obwohl ich überzeugt bin, dass er etwas für mich empfand, sagte er nie ein Wort, sondern ging nach Australien.«
    »Es ist sehr eigenartig, wie man hier bei Ihnen Ehen arrangiert«, warf Poirot ein. »Kein System. Keine Methode. Alles bleibt dem Zufall überlassen.«
    Evelyn sprach weiter.
    »Dann verloren wir plötzlich unser ganzes Geld. Meine Mutter und ich standen praktisch mittellos da. Wir zogen in ein kleines Häuschen und schlugen uns mühsam durch. Doch dann wurde meine Mutter sehr krank. Ihre einzige Chance war eine schwere Operation und ein Aufenthalt in einem warmen Klima. Aber wir hatten doch kein Geld, Monsieur Poirot – wir hatten kein Geld! Und das bedeutete, dass sie sterben musste. Mr Levering hatte mir bereits ein-

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