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Solange es hell ist

Solange es hell ist

Titel: Solange es hell ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sich zweimal in der Woche am Schrein eines kleinen heidnischen Idols. Zunächst beschränkten sie ihre Unterhaltung ausschließlich auf den kleinen Gott. Er war gewissermaßen eine Entschuldigung und ein Vorwand für ihre Freundschaft zugleich. Die Frage seiner Herkunft wurde ausgiebig erörtert. Der Mann beharrte darauf, ihm die blutrünstigsten Eigenschaften zuzuschreiben. Er stellte ihn als die Angst und den Schrecken seines Heimatlandes dar, mit einem unstillbaren Verlangen nach Menschenopfern – ein Gott, dem sich sein Volk furchtsam und zitternd unterwarf. Das eigentlich Ergreifende lag, wie der Mann ausführte, in dem Gegensatz zwischen seiner einstigen Größe und seiner jetzigen Bedeutungslosigkeit.
    Die Einsame Lady wollte nichts von dieser Theorie wissen. Er sei im Grunde ein gütiger kleiner Gott, behauptete sie. Sie bezweifelte, dass er jemals sehr mächtig gewesen war. Denn wenn er es gewesen wäre, so argumentierte sie, dann wäre er jetzt nicht verlassen und freundlos, und im Übrigen sei er ein netter kleiner Gott. Sie liebe ihn, und sie könne den Gedanken nicht ertragen, dass er tagein, tagaus hier bei all diesen grässlichen, hochnäsigen Kerlen sitzen müsse, die sich über ihn lustig machten, wie man ja deutlich sehen könne! Nach diesem leidenschaftlichen Ausbruch war die kleine Lady ganz außer Atem.
    Nachdem dieses Thema erschöpfend behandelt war, begann man natürlich von sich selbst zu sprechen. Er stellte fest, dass er richtig vermutet hatte. Sie war Gouvernante in einer Familie, die in Hampstead lebte. Er entwickelte auf der Stelle eine heftige Abneigung gegen die ihr anvertrauten Kinder: gegen Ted, der fünf war und nicht eigentlich unartig, sondern nur mutwillig, gegen die Zwillinge, die nun wirklich recht anstrengend waren, und gegen Molly, die nie das tat, was man ihr sagte, aber so ein Schatz war, dass man ihr nicht böse sein konnte!
    »Sie lassen sich von diesen Kindern tyrannisieren«, sagte er grimmig und vorwurfsvoll zu ihr.
    »Aber nein«, erwiderte sie lebhaft. »Ich bin ungemein streng mit ihnen.«
    »Ach du lieber Gott!«, sagte er lachend. Aber sie ließ ihn reumütig für seine Skepsis um Entschuldigung bitten.
    Sie war Waise, wie sie ihm sagte, und ganz allein auf der Welt.
    Nach und nach erzählte er ihr von seinem eigenen Leben: von seinem offiziellen Leben, das gewissenhaft und erfolgreich gewesen war, und von seiner inoffiziellen Beschäftigung, meterweise Leinwand zu verunzieren.
    »Selbstverständlich verstehe ich nichts davon«, erläuterte er. »Aber ich hatte schon immer das Gefühl, eines Tages etwas malen zu können. Ich kann ganz anständig zeichnen, aber ich würde gerne einmal ein richtiges Bild malen. Ein Mann, den ich früher kannte, meinte einmal, dass meine Technik nicht schlecht sei.«
    Sie war neugierig, wollte Näheres hören.
    »Sie malen bestimmt schrecklich gut.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe in letzter Zeit zwar einiges angefangen, aber alles enttäuscht weggeschmissen. Ich dachte immer, wenn ich die Zeit dazu hätte, wäre alles ein Kinderspiel. Ich habe diese Idee jahrelang mit mir herumgetragen, aber ich habe damit, wie mit allem, wohl zu lange gewartet.«
    »Es ist nie zu spät – niemals«, sagte die kleine Lady mit dem leidenschaftlichen Ernst der Jugend.
    Er musste über sie lächeln. »Glauben Sie wirklich, mein Kind? Für mich ist es für so manches zu spät.«
    Woraufhin die kleine Lady ihn auslachte und einen Methusalem nannte.
    Sie begannen sich im Britischen Museum seltsam heimisch zu fühlen. Der zuverlässige und verständnisvolle Wärter, der in den Sälen die Runde machte, war ein Mann mit Taktgefühl, der beim Erscheinen der beiden gewöhnlich feststellte, dass sein anstrengender Dienst dringend seine Anwesenheit im angrenzenden Assyrischen Saal erforderte.
    Eines Tages entschloss sich der Mann zu einem kühnen Schritt. Er lud die kleine Lady zum Tee ein!
    Zuerst lehnte sie ab.
    »Ich habe keine Zeit. Ich bin nicht unabhängig. Ich kann nur an den Vormittagen kommen, wenn die Kinder Französischunterricht haben.«
    »Unsinn«, sagte der Mann. »Sie könnten sich doch bestimmt einmal einen Tag frei nehmen. Lassen Sie eine Tante oder einen Vetter zweiten Grades oder sonst wen sterben, aber kommen Sie! Wir gehen in ein kleines ABC-Café ganz in der Nähe und bestellen uns Korinthenbrötchen zum Tee! Ich sehe es Ihnen doch an, dass Sie Korinthenbrötchen mögen.«
    »O ja, besonders die mit Zitronat!«
    »Und einer

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